Wenn Medizin und Pflege den Kranken kränker macht!
Mehr als 60 Prozent der Bewohner in Altenheimen sind dement
Unser Gesundheitssystem wird zunehmend belastet durch den Anstieg dementer alter Menschen, die in ihren letzten Lebensjahren vollkommen abhängig von Pflege sind – und rund um die Uhr betreut werden müssen. Lag der Anteil dementer Bewohner vor 20 Jahren noch bei durchschnittlich 30 Prozent, sind Altenpflegeeinrichtungen heute zu mehr als 60 Prozent mit Bewohnern konfrontiert, die jede Orientierung verloren haben (die Zahlen stammen aus dem Jahr 2004). Da insbesondere Demenzkranke besondere Anforderungen stellen, bedarf es entsprechender Strukturen und Konzepte im Umgang mit diesen Kranken, wie sie leider noch nur selten realisiert werden.
Überwiegend trifft man auf geriatrischen Abteilungen und in Pflegeheimen Organisationsformen und Haltungen an, wie man sie aus den Krankenhäusern kennt:
- demente Patienten oder Bewohner müssen sich dort, wie jeder andere, den organisatorischen Gegebenheiten unterordnen
- sie müssen warten, bis sie an der Reihe sind
- sie müssen abends um sieben bereits ins Bett
- sie dürfen nicht aufstehen, wann sie wollen
- sie müssen fixiert werden, weil man sie nicht genügend beaufsichtigen kann u.v.a.m.
Da ein Demenzkranker im fortgeschrittenen Stadium nur noch gefühlsmäßig reagiert, in dem er sich z.B. mit Händen und Füßen wehrt, wenn man ihm etwa Augentropfen einträufeln will oder die Pflegerin anspuckt, um ihr zu sagen, dass er von ihr nicht angefasst werden will, spielen sich hier nicht selten auch Machtkämpfe ab, aus denen der Kranke regelmäßig als Unterlegener hervorgeht.
Pflegekräfte und Ärzte wissen sich oft keinen anderen Rat, als diese Kranken mit Hilfe bestimmter Medikamente lenkbar und für die Einrichtung tragbar zu machen. Doch da diese Medikamente schwerwiegende Nebenwirkungen haben, entwickeln sich nicht selten auf diesem Hintergrund Zustandsbilder, die man weder aus menschlich-ethischer und schon gar nicht aus christlicher Sicht hinnehmen dürfte.
Der Leidensweg von Frau B.
Sie sehen hier das im Jahre 2003 aufgenommene Bild einer 90 jährigen Pflegeheimbewohnerin, die seit 2001 künstlich ernährt wird, der im Sommer 2002 beide Beine amputiert wurden und die bis zu ihrem Tode, am 4. August 2004 in diesem Zustand – nahezu reglos, völlig sprachlos und orientierungslos dagelegen hat – mit stets offenem Mund und in den Wachphasen mit offenen Augen, die meist ins Leere blickten. Auf Ansprache reagierte sie zu diesem Zeitpunkt meistens noch. Vor allem wenn ihr Sohn ans Bett trat, sie berührte und mit ihr sprach, suchte sie ganz gezielt nach seiner Hand und öffnete die Augen. Intuitiv erkannte sie wohl in ihm den Menschen, der ihr im Leben am meisten bedeutet hatte.
Einige von Ihnen, die berufsmäßig in Pflegeeinrichtungen zu tun haben, werden vermutlich jetzt denken: „Was soll das? Solche Kranke findet man doch überall.“
Dass schwerkranke, alte Menschen so daliegen, künstlich ernährt werden und kaum noch Regungen zeigen, ist ein Stück Pflegealltag. Man nimmt dies als gegeben hin. Ärzte und Pflegekräfte erklären sich und anderen diese Fälle, in dem man auf vorliegende Erkrankungen bzw. medizinische Diagnosen verweist, mit allen Komplikationen, die sich eingestellt und summa summarum zu diesem bedauernswerten Zustand geführt haben.
Auch Angehörige, wie jeder Laie auf diesem Gebiet, können dem im Grunde nichts entgegen setzen. Denn allgemein geht man davon aus, dass Ärzte und Pflegende im Rahmen ihrer Möglichkeiten und der finanziellen Mittel, das Beste getan haben.
Schaut man jedoch näher hin, wie ich es nachfolgend demonstrieren möchte, wird ein direkter Zusammenhang zwischen der Krankheitsentwicklung und den bereits erwähnten Strukturen sichtbar. Es wird ein Zusammenhang mit den Medikamenten sichtbar, die eingesetzt wurden, weil die Zeit für die notwendige Fürsorge und Zuwendung fehlte.
In diesem Falle hat der Sohn und gleichzeitig auch der Betreuer der Kranken den Hergang genau verfolgt, alle Vorkommnisse notiert, Dokumente gesammelt, sowie durch zahlreiche Schreiben an alle möglichen Instanzen und führenden Personen im Gesundheitswesen auf die von ihm wahrgenommenen „Missstände“ aufmerksam zu machen versucht. „Wenn ich schon meiner Mutter diesen grausamen Leidensweg nicht ersparen konnte, so will ich wenigstens dazu beitragen, dass anderen das erspart bleibt.“, so sein Anliegen.
Was ist also bei Frau B. passiert?
Etwa 1990 zeigten sich bei der damals 77 jährigen Frau B. die ersten Anzeichen einer Demenz, die bis 1992 noch einigermaßen kompensiert werden konnten. Als sie im März 1995 ins Pflegeheim kam, war sie bereits völlig desorientiert. Ihr 4 Jahre älterer Ehemann, der herzkrank war und sie bis dahin, mit Unterstützung von Sohn und Schwiegertochter, zu Hause betreut hatte, war zu diesem Zeitpunkt an der Grenze seiner Belastbarkeit angelangt und musste selbst für mehrere Wochen ins Krankenhaus.
Die Betreuung war nicht zuletzt deshalb sehr anstrengend, weil Frau B. einen starken Bewegungsdrang hatte: Sie konnte nicht lange ruhig sitzen, suchte ständig irgendetwas, war auch nachts häufig auf, fand sich im Haushalt nicht zurecht, konnte sich nicht mehr alleine anziehen, brauchte Hilfe bei der Körperpflege und musste regelmäßig zur Toilette geführt werden, weil sie bewusst nicht mehr wahrnehmen konnte, wann es Zeit war zur Toilette zu gehen.
Man konnte sie kaum unbeaufsichtigt lassen. Einmal sei sie, während ihr Mann an der Theke eines Tagescafés bezahlte, plötzlich verschwunden gewesen. Erst gegen Mitternacht wurde sie von einem der Familie bekannten Urologen kilometerweit entfernt auf freier Flur (in einem Feld) entdeckt. Bei der Kälte hätte sie die Nacht vermutlich nicht überlebt.
Ansonsten sei sie jedoch gut zu lenken gewesen, ihr freundliches,
liebenswertes Naturell habe sie behalten. Dies habe über vieles
hinweggeholfen. Nie habe man bei ihr aggressives Verhalten festgestellt,
vielmehr habe sie sich bemüht, es jedem Recht zu machen. Wenn Sie sich
zur Wehr gesetzt hat, so aus Angst.
Am 24. März 1995 fand der Umzug ins Heim statt.
Für das Heim stellte diese liebenswerte, hochgradig verwirrte und viel zu mobile Frau ein nicht minder großes Problem dar. Hineingestellt in eine fremde Umgebung, suchte sie jede Gelegenheit vor den fremden Menschen zu fliehen: d.h. wegzulaufen bez. hinzulaufen zu vertrauten Menschen und Orten. Das ist übrigens eine häufig zu beobachtende Reaktion, die aus meiner Sicht durchaus verständlich ist, aber eben nicht in den Alltag eines Seniorenheims passt.
Zunächst versuchte man die Situation mittels Haldol® in den Griff zu bekommen, einem seit Jahrzehnten gebräuchlichen Mittel, aus der Gruppe der Neuroleptika. Von März bis Oktober 95 wurde Haldol täglich abends und bei Bedarf in unterschiedlicher Dosis verabreicht. Die innere Unruhe und Weglauftendenz verschwanden jedoch nicht, lediglich wirkte Frau B insgesamt müder und weniger vital. Während sie vorher große Ausdauer zeigte, kam es nun häufig vor, dass sie an jeder Bank rasten wollte und meistens dabei einschlief.
Infolge der Medikation schlief Frau B nun tagsüber häufiger ein, während sie nachts weiterhin unruhig war und durch lautes Sprechen und Rufen die Nachtruhe ihrer Mitbewohner/innen gestört habe.
Außerdem zeigten sich unkontrollierte Arm- und Beinbewegungen. Ihr Gang wurde zusehends unsicherer, so dass sie alsbald – um der erhöhten Sturzgefahr vorzubeugen – einen Gehwagen erhielt. Auch die Gesichtszüge veränderten sich. Sie streckte häufig die Zunge heraus und außerdem lief ihr der Speichel aus dem Mund.Alle diese Erscheinungen sind bekannt als typische Nebenwirkungen von Haldol, aber auch von anderen Neuroleptika. Bei einer Blutuntersuchung wurden starke Veränderungen im Blutbild und Erhöhung einige Leberwerte festgestellt. Die ebenfalls als Nebenwirkung dieses Mittels beschrieben werden.
Der behandelnde Neurologe ordnete daraufhin im Oktober 95 das Mittel Perazin neuraxpharm 100 an, ein Neuroleptikum neuerer Generation, 75 mg abends. Nach Ansicht des Heimpersonals und des Neurologen sei sie damit gut eingestellt, schlief nachts einigermaßen und schlief auch mittags. Ende Mai 96 reduzierte der Arzt die Dosis auf 50mg. Da die Unruhe daraufhin sofort wieder zunahm, wurde schon eine Woche später wieder die alte Dosis von 75 mg verabreicht. Jedoch stellte sich die anfänglich gute Wirkung nicht wieder ein, so dass zeitweise zusätzlich noch andere Beruhigungsmittel versucht wurden. Als auch diese nicht halfen, wurde die Tagesdosis auf 100 mg erhöht. Auf die Frage des Sohnes, der die veränderte Dosis zufällig feststellte, als er seiner Mutter die Abendmedizin reichte, erklärte eine Schwester, dass die Mutter nachts sehr unruhig sei, z.T. sehr laut wäre und bedingt dadurch die Mitbewohner des Flures in ihrer Nachtruhe gestört wurden.
Während sich die erhoffte Wirkung nicht einstellte, traten die bei diesem Medikament bekannten Nebenwirkungen immer deutlicher in Erscheinung. In den nachfolgenden in einer Box dargestellten Informationen werden alle bei Frau B. aufgetretenen Symptome beschrieben:
Bekannte Nebenwirkungen von Perazin-neuraxpharm® 100
soweit diese beschrieben sind und bei Frau B zu beobachten waren:
Müdigkeit (allgemeine Trägheit und Reduzierung der Vitalität) bei gleichzeitigen Schlafstörungen, Verstärkung von Verwirrtheit bzw. Unruhe. Nachts konnte Frau B trotzdem selten vor 1 Uhr einschlafen, gegen 4 Uhr sei sie meist wieder wach gewesen.
Dyskinesien (Störungen des Bewegungsablaufs):
krampfartiges Herausstrecken der Zunge, Verkrampfung der Schlundmuskulatur, Blickkrämpfe, Verkrampfung der Rückenmuskulatur, unwillkürliche Bewegung vor allem im Bereich der Kiefer und Gesichtsmuskulatur, aber auch unwillkürliche Bewegungen an Armen und Beinen
Das Herausstrecken der Zunge, sowie ungewöhnliche Mundbewegungen traten bereits unter Haldol auf, verstärkten sich jedoch unter Perazin deutlich. Ihr gesamter Gesichtsausdruck habe sich in dieser Zeit stark verändert. Die gesamte Haltung wirkte verkrampft. (Anmerkung: Bereits in 1993 wurde eine schmerzhafte Osteochondrose der Lendenwirbelsäule diagnostiziert sowie Arthrose in den Kniegelenken, die Schmerzen bereiteten und zeitweise medikamentös behandelt wurden (Voltaren-Gel). Vor allem nach Ruhephasen sind dabei sog. Anlaufschmerzen zu beobachten, während der Bewegung bessern sich die Beschwerden zumeist wieder. Dadurch, dass der demenzbedingte Bewegungsdrang bei Frau B. medikamentös unterbunden wurde und sie nun viel mehr gesessen hat, verstärkten sich diese Beschwerden höchstwahrscheinlich und verursachten Schon- und Fehlhaltungen. Da Demenzkranke Schmerzen selten direkt äußern können, lassen sich diese vornehmlich einem schmerzverzerrten Gesichtsausdruck entnehmen, z.B. beim Aufstehen, Aufrichten oder Hinsetzen.)
Bei der MDK Begutachtung vom 21.2.96 wurden erstmals folgende Bewegungseinschränkungen dokumentiert: Wirbelsäulenteilversteifung, Nacken- und Schürzengriff beidseits nicht durchführbar, Schulterteilversteifung bds., Coxarthrose, allgem. Muskelatrophie, Parkinsonsyndrom: Zittern.
Steifigkeit, Bewegungsarmut
Ihre Bewegungen wurden in dieser Zeit zusehends unsicherer und ungelenker. Konnte sie vorher noch problemlos den Becher zum Mund führen, verschüttete sie nun häufig Sachen. Aß sie bis dahin zügig alles auf, brauchte sie nun länger und benötigte zunehmend Hilfe beim Essen. Auf Grund der Bewegungsarmut, die außerdem durch das fixierte Sitzen in einem sog. Therapiestuhl mit bedingt war, versteiften die Bein- und Armgelenke zunehmend, so dass Frau B Mitte 1998 bereits so versteifte Beingelenke hatte, dass sie ohne Hilfe kaum noch einen Schritt laufen konnte. Auch verspürte sie zu diesem Zeitpunkt offenbar keinen Bewegungsdrang mehr.
Störungen der Speichelsekretion, Mundtrockenheit
Zu Beginn war vermehrte Speichelsekretion beobachtbar, später zeigte sich dann das typische Erscheinungsbild von Menschen, die über längere Zeit hochdosiert Neuroleptika erhalten:
Trockener Mund, dicke hervorquellende Zunge, die nicht nur das Sprechen behindern, sondern auch Kau- und Schluckprobleme machen.
Erhöhungen der Leberenzymaktivitäten, zeitweise starke Erhöhung einzelner Leberwerte, veränderte Glukosetoleranz: Ein latenter Diabetes mell. Typ II manifestierte sich in 1996, er wurde zunächst mit Glukobay Tabletten behandelt. Die Blutzuckereinstellung blieb bis zuletzt ein Problem.
„Bei älteren Patienten können bereits niedrige Dosen verstärkt Nebenwirkungen hervorrufen.“, heißt es im Beipackzettel zum Medikament. Frau B. war zu Beginn dieser Therapie 82 Jahre, sie erhielt über rund 2,5 Jahre täglich 75 mg bzw. 100 mg Perazin.
Achtung: Betrifft die meisten Neuroleptika
Das sollten Sie wissen:
Viele der beschriebenen Nebenwirkungen bilden sich auch nach Beendigung der Therapie nicht wieder zurück! Therapien mit Neuroleptika führen also zu dauerhaften Schädigungen.
Bemühungen um eine weniger schädliche Therapie
Da ein Großteil der Nebenwirkungen bereits früh augenfällig wurden, versuchte der Sohn, der zugleich gesetzlicher Betreuer von Frau B war, über Gegengutachten namhafter Fachärzte den behandelnden Neurologen zu einer weniger schädlichen Therapie zu bewegen. So war diese Medikamentenanordnung im Juli 1996 Gegenstand einer amtsrichterlichen Entscheidung, die insofern interessant ist, als der Richter die Bedenken des Betreuers mit folgenden Worten zurückwies:
„Das Gericht wies den Betreuer darauf hin, dass, was möglicherweise in der Vergangenheit zu Missverständnissen geführt habe, seine Betreuerpflicht hinsichtlich der Gesundheitsfürsorge lediglich darin besteht, Krankheitszeichen an die behandelnden Ärzte weiterzuleiten. Diese müssten dann eigenverantwortlich die notwendige Behandlung durchführen. Eine Kontrolle und Übernahme der Verantwortung der ärztlichen Behandlung käme nicht in Betracht.“
Für das Gericht zählte lediglich die Sachverständigenaussage des Neurologen, der die Notwendigkeit der weiteren Verordnung dieses Medikamentes wie folgt begründete:
„Herr Dr. W. wies als Sachverständiger auf Bitten des Gerichts die Wirkungsweise dieser Medikation wie folgt aus: Die Betroffene hat innere Angstzustände. Um diese Angstzustände zu bewältigen verfällt die Betroffene in Motorik, d.h. sie verspürt einen großen Bewegungsdrang. Um diesen Bewegungsdrang etwas zu mindern und zu kanalisieren wird das Medikament Perazin von mir verabreicht. Insoweit ist es richtig, dass Perazin den Bewegungsdrang der Betroffenen einschränkt. Hierbei wird aber nicht jeglicher Bewegungsdrang unterbunden, sondern nur der übermäßige. Es könnte beispielhaft sein, dass die Betroffene ohne die Medikation versucht aus dem Haus und auf die Straße zu laufen. Durch Gabe dieses Medikamentes ist die Patientin führbar. „
Der Gutachter geht auf Nebenwirkungen nicht ein
Laut Aussage des Sohnes wurde das Gericht durch den Neurologen lediglich dahingehend informiert, dass Frau B. unter der Gabe von Perazin gut führbar sei. Mit keinem Wort habe der Gutachter die Nebenwirkungen erwähnt. Und da bekanntlich medizinische Gutachter vor Gericht kompetenter erscheinen als jede Beobachtung eines Nichtmediziners, sah das Gericht keine Veranlassung, eine Genehmigung zu erteilen, wie sie bei freiheitsentziehenden Maßnahmen oder Mitteln und Eingriffen erforderlich ist, die schwerwiegende Gesundheitsschäden verursachen können. Nach Darstellung des Arztes musste der Richter den Eindruck gewinnen, dass von Perazin nur die beschriebene positive Wirkung zu erwarten ist. Hätte der Sohn 1996 bereits das gewusst, was er schrittweise und durch eigene Nachforschungen in den kommenden Jahren herausgefunden hat, hätte er sich in dieser Situation sicherlich nicht derart in seinem Recht als Betreuer einschränken lassen. Die Haltung des Gerichtes ist kaum zu glauben, wäre sie nicht wörtlich dokumentiert. Außerdem ist dies kein Einzelfall. Mir persönlich ist kein einziges Urteil bekannt, in dem das Gericht nicht den Gutachten des medizinischen Sachverständigen gefolgt wäre.
Zeitgleich wurde per Gerichtsbeschluss dem Heim die Einwilligung erteilt, Frau B, falls erforderlich mit Hilfe eines sog. Therapiestuhles zu fixieren, d.h. am Aufstehen und Weglaufen zu hindern.
Foto: Sog. Therapiestuhl (ein solches Ablagebrett kann mit
wenigen Handgriffen an jeden Lehnstuhl montiert werden, so dass der
demente Bewohner, ähnlich wie bei einer Gurtfixierung, am Aufstehen
gehindert wird. Häufig werden Bewohner stattdessen mit ihrem Lehn- oder
Rollstuhl dicht an einen feststehenden Tisch heran geschoben. Dies hat
den gleichen Effekt und geschieht ohne amtsrichterlichen Beschluss.)
Was ab diesem Zeitpunkt passiert, kann man nur als systematische Entmobilisierung bezeichnen!
In den kommenden zwei Jahren saß Frau B dann überwiegend in diesem Stuhl, bis sie keine Anstalten mehr machte, aufzustehen und wegzulaufen. In dieser Zeit – bis etwa 1998 – versuchte sie durch lautes Reden, in dem sie z.B. immer wieder den Namen ihres Sohnes rief, so laut, dass man es draußen auf der Straße hören konnte, auf ihre hilflose Lage aufmerksam zu machen.
Eines Tages war sie dann plötzlich verstummt. Von einem Tag auf den anderen sprach sie kein Wort mehr. Die Ursachen konnten nie geklärt werden, es wurde ärztlicherseits jedoch auch nichts unternommen, um das aufzuklären. ( Anmerkung: Später wurde von einigen Ärzten die Verdachtsdiagnose apoplektischer Insult gestellt. Im letzten Arztbericht vom 13.8.04 der Abteilung des Krankenhauses in dem Frau B. verstorben war, ist erstmals vom „Zustand nach multiplen zerebralen Insulten“ die Rede. Auch dies ist ein häufiges Phänomen bei multimorbiden Krankheitssituationen, die nicht zuletzt dadurch gekennzeichnet sind, dass eine Diagnose in die andere überfließt und es im Grunde unmöglich ist, Ursachen und Wirkung sauber zu trennen. Eine sichere Diagnose der hirnorganischen Veränderungen wäre allenfalls durch Computertomographie möglich gewesen. Diese wurde nicht durchgeführt – vermutlich aus Kostengründen und weil das Ergebnis dieser Untersuchung angesichts der Gesamtsituation keine wirkliche Therapierelevanz gehabt hätte. Die Durchführung logopädischer Sprach- und Sprechübungen setzt nämlich voraus, dass der Kranke die Übungen versteht und den Willen hat, das Sprachproblem zu überwinden.
Bezogen auf die wahrzunehmenden Bewegungseinschränkungen wären hingegen regelmäßige, fachkundige Bewegungsübungen eine Voraussetzung gewesen, der weiteren Versteifung entgegen zu wirken bzw. die völlige Versteifung zu verhindern. Jedoch sahen weder die behandelnden Ärzte noch MDK Gutachter (in beiden Fällen Ärzte) einen Sinn in der Krankengymnastik. Damit die Mutter wenigstens noch in einem Arm/Hand eine Restbeweglichkeit behalten kann, veranlasste der Sohn zu einem späteren Zeitpunkt, dass das „Taschengeld“ der Mutter für Krankengymnastik an diesem Arm verwendet werden soll.)
Zur Zeit, als dieses Foto aufgenommen wurde, hatte Frau B. bereits ihre Sprache verloren. Sie konnte jedoch noch mit der linken Hand essen, wenn auch nur mit den Fingern. Unbeaufsichtigt habe sie jedoch meist mit dem Essen „gespielt“. Die Stellung des rechten Armes und der rechten Hand war auffällig verändert: Sie zeigte ein spastisches Muster, wie es durch verschiedene neuronale Störungen ausgelöst worden sein könnte, u.a. durch die Neuroleptika- Therapie als auch durch einen leichten Schlaganfall.
Im Übrigen ist das Schlaganfallrisiko bei Patienten, die mit Neuroleptika behandelt werden, deutlich höher, als bei anderen. (Warnungen selbst vor atypischen Neuroleptika finden sich in BMJ (British Medical Journal), in einer Übersicht (Review) über glaubwürdige Studien von Lee, Gill, Freedman et al. doi:10.1136/bmj.38125.465579.55(am 11. 6. 2004 veröffentlicht, unter www.bmj.com, nachlesbar).
Doch so ganz aufgegeben hatte sich Frau B. in 1998 noch nicht. Da sie
nun nicht mehr rufen konnte, verlegte sie sich aufs Klopfen. Mit allen
Gegenständen, die sie in die Hände bekam, klopfte sie so laut wie
möglich auf den Tisch, nicht aggressiv aber bestimmt und anhaltend.
Danach kam eine Phase, in der sie alles in den Mund gesteckt hat, was
sie in die Hände bekam, Servietten, Lätzchen, Bettbezug usw.
Etwa ab dem Jahr 2000 war Frau B. körperlich soweit ruhig gestellt, dass sie nahezu keine Eigeninitiative mehr zeigte.
Artig blieb sie sitzen, wo sie hingesetzt wurde, und reagierte nur noch auf Ansprache. Außerhalb der offiziellen Schlafenszeiten saß sie inmitten ihrer LeidensgenossInnen mehr oder weniger teilnahmslos im Aufenthaltsraum der Station – stets ordentlich gekleidet und gepflegt.
Betrachtet man nur das äußere Erscheinungsbild der Demenzkranken, dürfte der MDK mit der Pflegequalität höchst zufrieden gewesen sein. Wie alle Fotos dokumentieren, machen Bewohner und Umgebung dieser Einrichtung einen überaus gepflegten Eindruck.
Nebenstehendes Foto/Folie zeigt Frau B im Jahre 2001. Seit Mitte 1998 benötigte sie einen Rollstuhl, da sie aufgrund mangelnder Bewegung und der beschriebenen Medikamentennebenwirkungen bereits so versteift war, dass sie keinen Schritt mehr hätte laufen können, selbst wenn sie es gewollt hätte. Knie – und Fußgelenke waren völlig versteift (Kontrakturbildung). Ein Bauchgurt war nun zur eigenen Sicherheit unerlässlich, damit sie nicht bei einer falschen Bewegung oder einem unberechenbaren Aufstehversuch aus dem Stuhl herausfallen konnte. Beide Füße waren gepolstert, um weiteren Druckstellen vorzubeugen.
Vom reglosen Sitzen und Liegen sowie permanentem Druck auf bestimmte Hautareale am Gesäß und an den Füßen, entwickelten sich mehrere Druckgeschwüre . Mit großer Mühe gelang es dem Krankenhaus-Pflegeteam, die offenen Stellen am Gesäß zur Abheilung zu bringen. Hingegen breiteten sich die nacheinander aufgetretenen Wunden an den Außenknöcheln der Füße, trotz regelmäßiger hautärztlicher und chirurgischer Betreuung, weiter aus. Wohl auch aufgrund bewegungsmangelbedingter schlechter Durchblutung sowie des Diabetes.
Ernährung über eine PEG Sonde
Außerdem wurde Frau B seit August 2001 künstlich über PEG Sonde ernährt. Auch dies ist eine Entwicklung mit einer leider recht typischen Vorgeschichte. Da die Einrichtungen zumeist so organisiert sind, dass das Essen innerhalb enger Zeitspannen verabreicht werden muss, bleibt den Mitarbeitern nicht die Zeit, individuellen Besonderheiten einzelner Bewohner, sowie der Langsamkeit beim Kauen und Schlucken zu entsprechen. Unter Zeitdruck wird das Essen angereicht. Während die erste Portion noch im Mund ist, wird die nächste bereits nachgeschoben, bis der Kranke anfängt zu husten oder zu würgen oder bis er genug von dieser Fütterungsaktion hat und den Mund nicht mehr aufmacht. Nicht anders war dies wohl bei Frau B. Konnte sie anfänglich mit Unterstützung problemlos und zügig essen und trinken, führte die medikamentenbedingte Verlangsamung und Veränderung der Kau- und Schluckreflexe, denen pflegerischerseits nicht entsprochen wurde, zum Verlust der Ess- und Trinkfähigkeit. Nach Aussage des Sohnes, der häufig anwesend war, wenn es Abendbrot gab und seiner Mutter dann half, musste man in 2001schon sehr viel Zeit und Geduld aufbringen. „Ich habe es mit einem enormen Zeitaufwand geschafft, Mutter abends eine Schnitte Brot (eingeweicht in Tee) zu füttern. Sie hatte sich zum Teil auch verschluckt und dann so stark gehustet, dass sie manchmal blau angelaufen ist.“, beschreibt er die Situation.
Weder ist es üblich noch bei der üblichen Personalbesetzung möglich, eine Pflegekraft abzustellen, die das Essen in dem Tempo anreicht, in dem eine solche Patientin/Bewohnerin schlucken kann, ohne sich zu verschlucken. Dazu müssten zusätzliche Helfer eingesetzt werden. Dies geschieht aus Kostengründen jedoch nur selten.
Anmerkung zu den Kosten
Auch an dieser Stelle macht sich der ungünstige Einfluss gesundheitspolitischer Weichenstellung bemerkbar. So wird die Sondenkost mit rund 1.400 € monatlich (laut Auskunft eines Apothekers) selbstverständlich von den Kassen bezahlt, ein Helfer, der das natürliche Essen unterstützt, bei dem auch noch selbstverständlicher menschlicher Kontakt und Austausch geschehen kann (eine zusätzlich Hilfe) müsste hingegen privat bezahlt werden. Hilfe beim Essen könnte – wenn man die Kosten für die Sondennahrung umrechnet – mit 48 € täglich honoriert werden. Anstatt natürliche Hilfsangebote zu fördern und deren Ausschöpfung zu fordern, investiert man in künstliche Ernährung.
Mangelernährung und Lungenentzündung
Mit Mangelernährungszeichen und Lungenentzündung wurde Frau B. im August 2001 ins Krankenhaus verlegt. „Die aktuelle stationäre Aufnahme erfolgte, da sich der Allgemeinzustand der Patientin unter rezidivierenden Fieberschüben und mangelnder Nahrungsaufnahme kontinuierlich verschlechtert hatte.“, heißt es im Arztbericht. Und weiter steht dort: „Bei ausgedehnter Schluckstörung sahen wir die Infiltration (Lungenbefund) am ehesten als Aspirationspneumonie an. Zur Prophylaxe erneuter Infiltrate erfolgte am 28.08.01 die Anlage einer PEG.“
Der Sohn/Betreuer wurde mehr oder weniger vor vollendete Tatsachen gestellt. Unvorbereitet auf diese medizinische Entscheidung und ohne die Tragweite überblicken zu können, wurde er lediglich vor die Alternative gestellt, die Mutter verhungern zu lassen oder einer künstlichen Ernährung über PEG zuzustimmen. Dass die Nahrungsverabreichung über PEG Sonde ein noch größeres Risiko von Aspiration/Infiltration/Pneumonie mit sich bringen würde, konnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand wissen. Das Aufklärungsverhalten von Ärzten, wenn es darum geht, eine Einwilligung des Betreuers für eine von ihnen längst getroffenen Entscheidung zu erhalten, beschränkt sich in aller Regel auf die Beschreibung der Notwendigkeit, die sich alleine schon aus dem ärztlichen Leitprinzip „Leben zu erhalten“ ergibt und in solchen Fällen keine Alternativen kennt. Risiken und Nebenwirkungen werden hingegen unterschlagen.
Krankenhausaufenthalte wegen Störungen bei der Sondenernährung
Alleine von August bis Ende Dezember 2001 lag Frau B viermal im Krankenhaus, hauptsächlich wegen Störungen im Zusammenhang mit der Sondenernährung: So trat bereits im August die erste Aspirationspneumonie auf, viele weitere sollten folgen. Hierdurch wurde natürlich jedes Mal der gesamte Stoffwechsel in Mitleidenschaft gezogen.
Im November wurde sie z.B. mit einem Blutzuckerwert von 568 mg/dl eingewiesen, bei gleichzeitig hohem Fieber. Auch die zunächst harmlos erschienenen offenen Stellen an den Füßen weiteten sich aus, so dass neben einem Dekubitalgeschwür am linken Außenknöchel und an der rechten Großzehe, eine diabetesbedingte Angiopathie bzw. Gangrän zur Mangelversorgung und schließlich zum Absterben der Füße beitrug.
Weil das Pflegeheim, in dem seine Mutter vom März 1995 bis September 2001 gewohnt hatte, im Wege eines Neubaues nur Einzelzimmer erstellte, und der Sohn Angst hatte, in einem Einzelzimmer würde niemand mitbekommen, wenn die Mutter einen Erstickungsanfall erleidet, veranlasste er einen Heimwechsel. Darüber hinaus spielten vermutlich auch die Kosten eine Rolle, denn Frau B. war Sozialhilfeempfängerin. Doch auch im zweiten Haus, in dem Frau B. seit Oktober 2001 in einem Zweibettzimmer untergebracht war, konnte eine weitere Zuspitzung der Lage nicht verhindert werden.
Nach mehreren chirurgischen Abtragungen von Nekrosen an den Füßen und der akuten Gefahr einer Sepsis wurden ihr im Juli und August 2002 beide Beine bis zu den Oberschenkeln amputiert.
Laut MDK Bericht wurde sie bis Mai 2004 einmal wöchentlich (im Rollstuhl sitzend) geduscht.
Darüber hinaus wurde sie seit ihrer Beinamputation nur zu drei Anlässen nochmals aus dem Bett geholt.
In den kommenden zwei Jahren dieses qualvollen Lebens musste Frau B insgesamt 15-mal stationär im Krankenhaus aufgenommen werden, zumeist weil die Sondennahrung über die Speiseröhre zurücklief und aspiriert wurde. Hierdurch kam es zu akuter Erstickungsgefahr und Pneumonie.
In der Notaufnahme des Krankenhauses wurde sie dann regelmäßig bronchial abgesaugt. Mehrfach wurde sie auch bronchoskopiert. „Meine Mutter hat geschrieen, so habe ich noch nie einen Menschen schreien gehört“, erklärte mir ihr Sohn am Telefon, nachdem er einmal vor der Behandlungstür gewartet hatte. Man kann sich kaum etwas Qualvolleres vorstellen, als bei vollem Bewusstsein und Empfindungsvermögen, bronchoskopiert oder bronchial abgesaugt zu werden, selbst Bewusstlose bäumen sich dabei auf.
Doch sollte man sie allmählich ersticken lassen?
Davor hatte der Sohn zuletzt die größte Angst, nachdem sein Vater 1999 in seinen Armen verstorben war, am eigenen Schleim erstickt war, bevor fachkundige Hilfe kam. (Der Ehemann von Frau B. hatte nach einem Sturz eine Schenkelhalsfraktur. Am 6. postoperativen Tag verstarb er plötzlich an akuter Herz-Lungeninsuffizienz (Erstickungszeichen durch Lungenödem).
Seine Mutter verstarb hingegen unbemerkt in der Nacht des 4. August 2004, so gegen 0.30 Uhr. Vermutlich wurde sie von der Nachwache bei einem Kontrollgang tot vorgefunden, denn zum tatsächlichen Umstand und Hergang konnte dem Sohn keine Auskunft gegeben werden. Die beiden Zimmernachbarinnen waren ebenfalls sehr alt und völlig hilflos, sie hätten sich nicht melden können, um etwa bei einem Erstickungsanfall von Frau B Hilfe zu rufen.
Eine Monitorüberwachung ist in solchen Fällen nicht üblich. Warum eigentlich nicht? Wenn man sich schon derart bemüht, einen sterbenskranken alten Menschen künstlich am Leben zu halten, wäre eine solche Sicherheitsmaßnahme die notwendige Konsequenz. Den Sohn hätte dies jedenfalls sehr beruhigt. Bis heute quält ihn die Frage, wie seine Mutter gestorben ist, ob sie ruhig eingeschlafen oder qualvoll erstickt ist. Die Ärzte gehen von einem sog. „Sekundenherztod“ aus und stellen den „Exitus“ nun auf einmal als einen normalen Vorgang in einer solch schwierigen Lage dar, während bis dahin von „Sterben“ nie die Rede war.
Erst so gegen 10 Uhr morgens hat der Sohn vom Tod seiner Mutter erfahren, nicht durch das Krankenhaus, sondern durch das Pflegeheim. (Das kann jedoch auch daran liegen, räumte der Sohn ein, dass er in der Zeit von 7.30 bis 9.45 Uhr nicht erreichbar war).
Am Nachmittag vorher saß er wie jeden Tag 2-3 Stunden am Krankenbett der Mutter, die gerade wieder mit einer schweren Aspirationspneumonie im Krankenhaus lag, trotz Antibiotika hohes Fieber hatte und schwer geatmet habe. Doch weder ein Arzt noch eine Pflegekraft haben ihm gegenüber mit einer Silbe angedeutet, dass es nun endgültig bald zu Ende gehen könnte.
Zu lange schon lag diese Frau im Sterben und wurde dennoch keine Minute wie eine Sterbende behandelt.
Die Entfernung der PEG-Sonde habe nie zur Debatte gestanden, weder für den Sohn noch für die Ärzte. Bis zuletzt waren alle bemüht, die maximal mögliche Einflussmenge auszuloten. Flach liegen durfte Frau B schon lange nicht mehr, weil die Nahrung dann sofort zurücklief.
15-mal wurde diese Frau innerhalb von zwei Jahren im Zustand akuter Erstickungsgefahr, wegen der Aspiration von Sondennahrung, ins Krankenhaus eingeliefert. Dennoch stand die Einstellung der Sondenernährung zu keinem Zeitpunkt zur Diskussion, da dies nach dem Verständnis des Sohnes und wohl auch der Ärzte einer passiven Euthanasie gleichgekommen wäre. Dabei hatte sie trotz Sondenernährung stark abgenommen, habe bei der letzten Gewichtskontrolle nur noch 36 kg gewogen. Außerdem erhielt sie zusätzlich noch subkutane Infusionen.
Ethik und Sterbehilfe
Man könnte jetzt hier an dieser Stelle einen langen ethischen Exkurs über Sterbehilfe einfügen, doch das ist nicht unser Thema. Sondern mir geht es darum, an diesem Beispiel einen typischen Mechanismus aufzuzeigen, sowie das, was dabei heraus kommen kann. Es mag pietätlos sein, wenn man angesichts solch einer Leidensgeschichte die Kosten ins Feld führt. Doch nur um eine ungefähre Vorstellung der Größenordnung zu geben: Nach Auskunft der AOK, bei der Frau B. versichert war, beliefen sich alleine nur die reinen Krankenhauskosten im Zeitraum vom 22.August 2001 (als die Sonde gelegt wurde) bis zum 4.August 2004, auf rund 61.000 Euro.
Bedenkt man die Leidenssituation, die mit dem großen Aufwand erzeugt wurde, die also dieser Frau hätte erspart werden können, muss man sich fragen, in welcher Welt wir eigentlich leben.
Doch wen interessiert das? Während auf der einen Seite eine regelrechte Studienmanie ausgebrochen ist und jeder Handgriff evidenzbasiert sein sollte, werden auf der anderen Seite Zusammenhänge übersehen, die jeder mit bloßem Auge erkennen kann, sofern er hinschaut. Doch da sich die Akteure teilweise so sehr an solche Bilder gewöhnt haben, die inzwischen zum Krankenhaus- und Pflegealltag gehören, werden diese als gegeben hingenommen.
Es geht hier nicht darum, alten, demenzkranken Menschen Gesundheitsleistungen vorenthalten zu wollen – das wäre auch in meinen Augen ein ethisch nicht vertretbarer Ansatz. Zuallererst müsste es den Verantwortlichen in Politik, Medizin und Pflege darum gehen, Entwicklungen wie diese zu verhindern.
Das größte Sparpotential – die Vermeidung von therapie- und pflegebedingten Schäden – wurde offiziell bislang noch nicht einmal entdeckt!