Genschere: Darf der Mensch Gott spielen?
Erstmals ist es gelungen, eine Genveränderung in menschlichen Embryonen erfolgreich zu reparieren. Aber nicht nur Krankheiten lassen sich mit der Technik heilen. Auch die Augenfarbe und andere Merkmale könnten so vorherbestimmt werden.
Simon K.* brach beim Sport zusammen und wachte nie wieder auf. Diagnose: Plötzlicher Herztod. Der junge, athletische Mann litt unter einer sogenannten Hypertrophen Kardiomyopathie, kurz HCM. Bei dieser Krankheit verdickt sich das Herzmuskelgewebe der linken Herzkammer. Die Störung kommt relativ häufig vor. Einer von 500 Menschen ist betroffen, viele sterben daran.
Schere sucht Führer
Das Besondere an der HCM:
Nur an einer Stelle eines ganz bestimmten Gens ist die Information,
der sogenannte genetische Code, verändert. Wissenschaftler nennen so
etwas Mutation. Es gibt rund 10.000 weitere Erbkrankheiten, die durch
ähnlich isolierte Mutationen ausgelöst werden. Etwa die Mukoviszidose
oder die Sichelzellenanämie – zwei ebenfalls lebensbedrohliche
Erkrankungen. Da liegt die Idee nahe, die folgenschweren Genfehler so
früh wie möglich zu korrigieren.
Bis vor Kurzem ein unmögliches Unterfangen. Wissenschaftler kennen zwar Enzyme, welche die DNA „schneiden“ können, aber diese Eiweißmoleküle sprechen nicht die gleiche Sprache wie die Erbinformation. Deshalb können sie die defekte Stelle im Genom nicht aufspüren.
Das änderte sich mit einer spektakulären Entdeckung der beiden Wissenschaftlerinnen Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier vor vier Jahren. Durch Zufall fanden sie in Bakterien ein Enzym, das DNA-Stränge zerschneiden kann und einen kleinen Erbgutschnipsel mit sich führt wie einen Dolmetscher. Er kann die gewaltige Datenmenge der DNA lesen und führt die molekulare Schere exakt dorthin, wo sie schneiden soll. „CRISPR/Cas9“ tauften die Wissenschaftlerinnen das potente Gespann – Bakterien benötigen es, um sich gegen Viren zur Wehr zu setzen.
Erbkrankheit im Keim erstickt
Eine Forschergruppe von der Oregon Health and Science University in Portland machte sich die Genschere zunutze, um die Hypertrophe Kardiomyopathie schon sehr früh im Erbcode zu löschen – bei Embryonen. Das Team um Shoukhrat Mitalipov stattete die Genschere mit einer Erbgut-Sequenz aus, welche exakt jene Stelle in der DNA erkennt, an der die Krankheit programmiert ist.
Ihr neues Superwerkzeug setzten sie auf 58 Embryonen an, die aus den Spermien eines an HCM erkrankten Mannes und den Eizellen einer gesunden Frau entstanden. In den USA sind derartige Versuche möglich. In Deutschland dagegen verhindert das Embryonenschutzgesetz, dass menschliche Embryonen für Forschungszwecke genutzt werden.
Sensationelle Erfolgsquote
Das US-Experiment funktionierte: Das „Dolmetscher“-Schnipsel führte die molekulare Schere Cas9 zielgenau zum mutierten DNA-Abschnitt und trennte ihn heraus. Nun konnten die zelleigenen Reparaturmechanismen das Gen wieder Instand setzen.
Der Erfolg verblüffte sogar die Wissenschaftler selbst: Bei 42 Embryonen verschwand die krankmachende Mutation – eine Erfolgsquote von 72 Prozent.
„In Zellkulturen arbeitete CRISPR/Cas9 allerdings lange nicht so gut wie in lebenden Embryonen“, sagt Jun Wu, einer der Studienautoren. Grund seien die besonders gut funktionierenden DNA-Reparaturmaschinen in frühen Embryonalstadien, vermuten die Forscher.
Auch ein vorangegangener Versuch chinesischer Wissenschaftler im April 2015 hatte deutlich schlechter funktioniert als das Experiment der US-Forscher. Denn anders als Mitalipov und sein Team gaben die Chinesen die Genschere mit ihrem Dolmetscher erst zur befruchteten Eizelle hinzu – und nicht schon zum Zeitpunkt der Befruchtung.
Schere außer Kontrolle
Und mit einem weiteren Problem hatten die chinesischen Forscher zu kämpfen, das in Mitalipovs Versuch nicht auftrat: sogenannte off-target-Mutationen. Sie gelten als größte Gefahr beim Einsatz von CRISPR/Cas9.
Off-target bedeutet, dass die Genschere auch an anderen Stellen als der gewünschten schneidet. Und nicht alles kann die zelleigene Reparatur wieder korrekt zusammensetzen. Dann entstehen neue Mutationen, die zum Beispiel Krebs auslösen könnten.
„Wir fahren ein Auto, an dem wir noch bauen.“
Mit ihrem Versuch haben Mitalipov und Kollegen die ethische Debatte, ob der Mensch Embryonen manipulieren darf, neu entfacht. In Deutschland ist bisher nur die sogenannte Präimplantationsdiagnostik erlaubt. Dabei untersucht man das Erbgut von Embryonen nach einer künstlichen Befruchtung außerhalb des Mutterleibs und setzt nur gesunde Embryonen ein – also solche, die eine schwere Erbkrankheit wie die HCM nicht in sich tragen. Und auch nur dann, wenn eine schwere Erbkrankheit droht, darf die Methode überhaupt eingesetzt werden.
Die CRISPR/Cas9-Technik kann auch solche Embryonen heilen, die bei der Präimplantationsdiagnostik ausgelesen würden. Theoretisch. Denn ob sie wirklich besser ist, bleibt noch offen. Die Risiken, die mit einer Genschere-Behandlung verbunden sind, lassen sich noch nicht endgültig abschätzen – da sind sich die Wissenschaftler einig. Jacob Corn, Direktor der Genomics Initiative der University of California in Berkeley, sagt zum Stand in der CRISPR/Cas9-Forschung: „Wir fahren ein Auto, an dem wir noch bauen.“
Unbekannte Gefahren
Elf große Wissenschaftsorganisationen in Amerika rufen im American Journal of Human Genetics zu einer „vorsichtigen, aber engagierten Herangehensweise“ auf. Bis man wisse, ob der Nutzen die Risiken wirklich übersteigt. Die Forscher halten es deshalb auch „derzeit für unangemessen“, einen genetisch veränderten Embryo einer Frau einzusetzen und eine Schwangerschaft herbeizuführen.
Die CRISPR/Cas-Embryos aus Mitalipovs Experiment wurden nach wenigen Tagen zerstört. Zu diesem Zeitpunkt besteht der Embryo aus einer kleinen, mit Flüssigkeit gefüllten Zellkugel, der Blastozyste. Die Wissenschaftler definieren dieses Embryonalstadium noch nicht als menschliches Leben. Nistet sich die Blastozyste nicht in eine Gebärmutter ein, entstehen aus ihr im Labor „nur“ embryonale Stammzellen.
Über die Frage, wann Leben beginnt, lässt sich freilich streiten. In Deutschland etwa dürfen Embryonen nur im sogenannten Vorkernstadium und zum Zweck einer künstlichen Befruchtung eingefroren und irgendwann vernichtet werden. Bei ihnen ist der Kern der Eizelle noch nicht vollständig mit dem Samen verschmolzen. Viele Forscher fordern, solche Gebilde für hochrangige Forschungsziele verwenden zu dürfen.
Designer-Babys?
Doch wie weit darf man überhaupt gehen in der Genforschung und -therapie? CRISPR/Cas9-Entdeckerin Doudna hat Bedenken und sagt: „Ich habe mich schon oft gefragt, was Forscher wohl alles tun würden mit dieser Technik, deren Existenz ich mitzuverantworten habe.“ Vielleicht würden sie ein Designer-Baby kreieren, bei dem Eltern nicht nur über die Gesundheit entscheiden, sondern auch Haarfarbe, Augenfarbe, Intelligenz und Charakter bestimmen – wenn solch ein Experiment nicht vorher per Gesetz verhindert wird. Höchste Zeit festzulegen, welche Risiken Forscher bei der genetischen Veränderung von Embryonen eingehen dürfen und welche Manipulationen grundsätzlich verboten werden sollten.
*Name von der Redaktion geändert.