Neue Gen-Techniken
Genome Editing:
CRISPR, Zinkfinger & Co: In Fachblättern und Tageszeitungen häufen sich Erfolgsmeldungen aus Laboren, in denen das Erbgut von Pflanzen und Tieren mittels neuer Methoden verändert wird. Einige der Techniken werden unter dem Sammelbegriff „Genome Editing“ geführt. Wissenschaftler und Firmen wollen, dass ihre Organismen nicht als Gentechnik betrachtet werden. Das würde die Vermarktung nämlich deutlich erleichtern.
Neue Züchtungstechniken
In den vergangenen Jahren wurden neue molekularbiologische Techniken zur „Verbesserung“ von Pflanzen, aber auch Tieren, entwickelt. Diese nutzen oft natürliche Reparaturmechanismen der Zelle aus, um Änderungen im Genom herbeizuführen.
Offen ist, ob die so erzeugten Organismen rechtlich als “genetisch verändert“ gelten müssen oder nicht. Denn bei „Gentechnik“ handelt es sich zunächst einmal um einen juristischen Begriff. Die Definition ist daher entscheidend, ob Pflanzen das aufwendige Gentechnik-Zulassungsverfahren durchlaufen und als solche gekennzeichnet werden müssen – oder ob eine einfache Registrierung reicht.
Warum ist es den Saatgut-Firmen so wichtig, dass ihre neuen Technologien und Pflanzen nicht als Gentechnik eingestuft werden? Gentechnik gilt als Risikotechnologie. Daher müssen gentechnisch veränderte Organismen in der EU ein spezielles Zulassungsverfahren durchlaufen (das allerdings immer wieder als zu industrienah kritisiert wird). Laut gemeinsamer Forschungsstelle der EU-Kommission (Joint Research Centre – JRC) belaufen sich die Kosten des „regulatorischen Pakets“ für Gentechnik-Pflanzen auf 10-15 Millionen Euro (eine Gentech-Pflanze auf den EU-Markt zu bringen koste insgesamt 70 bis 90 Millionen Euro). Die Registrierungskosten für eine konventionell gezüchtete Pflanze liegen hingegen bei einigen 10.000 Euro – also deutlich geringer.
Darüber hinaus ist der Anbau von Gentechnik-Pflanzen in Europa an Auflagen gekoppelt. So müssen zwischen Feldern mit und ohne Gentechnik Abstände eingehalten werden. Gentechnisch veränderte Produkte müssen vor dem Verkauf gekennzeichnet werden. Für die neuen Technologien ist das alles nicht der Fall.
Es ist also sowohl für die Entwickler der Pflanzen als auch für Landwirte und Verbraucher von entscheidender Bedeutung, ob die mit den neuen Techniken gezüchteten Organismen als Gentechnik eingestuft werden oder nicht. Über die teils komplizierten Details gehen die Meinungen jedoch stark auseinander.
Wie werden die Techniken beurteilt?
Eine Arbeitsgruppe der EU-Kommission, die New Techniques Working Group (NTWG), legte 2011 ihren Bericht zur Bewertung neuer Züchtungstechnologien vor: Welche sollten als Gentechnik gelten und welche nicht? Entscheidungskriterien waren die Größe der genetischen Konstrukte, ob sie im Organismus verbleiben und ob die Veränderung bei der Ziel-Pflanze nachweisbar ist. Die deutschen Mitglieder der NTWG und die Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit (ZKBS) folgten der Einschätzung der EU-Arbeitsgruppe weitestgehend.
Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau FIBL beleuchtete die neuen Techniken hingegen aus einem anderen Blickwinkel. Gentechnik ist im Ökolandbau prinzipiell ausgeschlossen. Darüber hinaus werden auch Züchtungsmethoden kritisch beurteilt, welche die Integrität der Zelle verletzen. Die Molekularbiologin Ricarda Steinbrecher von der nicht-kommerziellen Forschungsorganisation Econexus erklärte, die neuen Techniken hätten ein „eigenes Set an Risiken und Unsicherheiten“, die teilweise noch zu den Bedenken gegenüber „alten Gentechniken“ hinzukämen.
Juristische Gutachten aus Deutschland sehen in den neuen Verfahren ganz klar Gentechnik. Die Kriterien der EU-Gentechnikrichtlinie seien erfüllt, so Professor Tade Matthias Spranger von der Universität Bonn in einem Gutachten für das Bundesamt für Naturschutz sowie Professor Ludwig Krämer in einem Gutachten für Umweltverbände.
Was ist anders bei den neuen Techniken?
Auch bei den neuen Techniken wird mittels gentechnischer Konstrukte die Erbinformation einer Pflanze verändert. Zwar werden nicht wie bisher ganze Gene ungerichtet in die Zelle geschleust (Transgenese), doch auch Konstrukte, die nicht als ganzes Gen eingebaut werden, können zu ungewollten Genveränderungen führen und unvorhersehbare Nebeneffekte auslösen. Einige Techniken bedienen sich der gentechnischen Konstrukte nur in einem Zwischenschritt, die entstehenden Veränderungen am Genom – und auch eventuell eingetretene ungewollte Genomveränderungen – werden vererbt.
Aus dem Bericht des Joint Research Centre der EU-Kommission wird deutlich, dass zu den neuen Techniken nur wenige Studien vorliegen. Technikspezifische Probleme sind aber durchaus zu erwarten. So ist bei der Technik des Gen-Silencing, also dem Abschalten bestimmter Genabschnitte, derzeit nicht klar, wann die Abschaltung wieder aufgelöst wird oder gar durch die Veränderung die Genaktivität besonders angekurbelt wird. Die Abschaltung ist vererbbar und kann sich damit ausbreiten.
Neuseeländische Forscher wiesen in einer Studie von 2013 auf mögliche Risiken hin. Sie empfahlen dringend eine Sicherheitsprüfung derart hergestellter Organismen. Alle neuen Techniken seien noch jung, viele Mechanismen nicht völlig klar. Einige dieser Pflanzen werden derzeit in Freilandversuchen erprobt und angebaut.
Doch nicht nur der technische Eingriff ins Genom selbst birgt Risiken. Auch die eingebrachten Eigenschaften stehen in der Kritik. Der Großteil der gentechnisch veränderten Pflanzen ist herbizidresistent. An diesem Züchtungsziel hat sich, wie aus dem Bericht des Joint Research Centre der EU-Kommission hervor geht, auch bei den neuen Techniken nichts geändert. Die Folgen des Anbaus von herbizidresistenten Pflanzen, gentechnisch verändert oder nicht, bleiben die gleichen. Die massive Anwendung von Spritzmitteln führt zu mehr Rückständen und Abbaustoffen und somit zu einer Gesundheitsgefahr für Umwelt, Mensch und Tier.
Auch mit einer weiteren Zunahme von resistenten Unkräutern ist zu rechnen. In einer Datenbank, an der Gentech- und Pestizidhersteller wie Monsanto und Syngenta beteiligt sind, sind schon 250 solcher Unkrautarten gelistet. Herbizidresistente Systeme, ob Gentechnik oder aus konventioneller Züchtung, verschärfen diese Entwicklung.
Als CRISPR (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats) werden sich auf bestimmte Weise wiederholende DNA-Abschnitte bezeichnet. Sie kommen bei verschiedenen Lebewesen, z.B. Bakterien vor, die damit fremde DNA als Eindringling erkennen und bekämpfen können.
Diese natürliche Reaktion nutzt die CRISPR-Cas-Technik. Sie zählt zu den neuen Gentechnik-Verfahren, die als „Genome Editing“ immer mehr Aufmerksamkeit erfahren. Cas ist ein Enzym, das die DNA an vorgegebenen Stellen schneiden und so für Änderungen sorgen soll. Unternehmen und Wissenschaftler erklären CRISPR-Cas für deutlich präziser als die „klassische“ Gentechnik, die mit der sog. Gen-Kanone oder Agrobakterien arbeitet. Konzerne wie Dupont und Monsanto haben erste „Produkte“ in der Entwicklung.
Klar ist aber auch: fehlerhafte Schnitte in der Erbsubstanz können nicht verhindert, unbeabsichtigte DNA-Mutationen und daraus resultierende Risiken für Mensch und Umwelt nicht ausgeschlossen werden. Einige Wissenschaftler und Gentechnik-Kritiker mahnen deshalb zur Vorsicht. (Und nicht nur die: Genome-Editing-Techniken wie CRISPR könnten laut dem Nationalen Geheimdienstdirektor der USA für die Herstellung von „Massenvernichtungswaffen“ missbraucht werden).
Unklar ist bislang, ob CRISPR-Cas als Gentechnik eingestuft wird. Nur dann muss eine Risikoprüfung sowie ein Monitoring in der Umwelt erfolgen. Produkte, die mit diesem Verfahren hergestellt werden, müssten gekennzeichnet werden. Erste wissenschaftliche und juristische Gutachten ordnen das CRISPR-Cas-Verfahren klar der Gentechnik zu. Die finale Entscheidung erfolgt durch die EU-Kommission, die dies zuletzt auf März 2016 verschob.
Was kommt auf die Landwirte zu?
Für Landwirte bergen die biotechnologisch erzeugten, aber nicht als „Gentechnik“ klassifizierten Pflanzen neue Risiken. Wenn die Methoden nicht unter das Gentechnik-Gesetz fallen, unterliegen sie weder einem Zulassungsverfahren mit Risikoprüfung noch Kennzeichnungs- oder Koexistenzregelungen. Wenn mit den neuen Verfahren problematische Eigenschaften, wie beispielsweise eine Herbizidresistenz erzeugt werden, gibt es so weder Schutz vor Auskreuzungen noch Haftungsansprüche. Da die neuen Techniken Organismen hervorbringen, die patentrechtlich geschützt sein können, werden Züchter und Landwirte zusätzlich der Möglichkeit beraubt, das Saatgut wie gehabt weiterentwickeln zu können. Das Landwirte- und Züchterprivileg, das bei konventionellen Pflanzen im Sortenschutzrecht verankert ist, wird ausgehöhlt.
Für nicht gentechnisch veränderte, herbizidresistente Pflanzen sah die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung keine Rechtsgrundlage für eine veränderte Zulassungsprüfung, wie sie 2012 in ihrer Antwort auf eine Anfrage der Grünen zum „Clearfield“-Raps schrieb.
Bei der Oligonukleotid-gesteuerten Mutagenese (OgM) wird gezielt mit Hilfe eines synthetisch hergestellten Konstruktes aus Nukleotiden, den Grundbausteinen der DNA, ein zelleigener Reparaturmechanismus ausgelöst und eine dauerhafte Mutation in der Erbsubstanz der Pflanze bewirkt. Aus dem 2011 veröffentlichten Bericht der europäischen Forschungsstelle JRC wird klar, dass die Effizienz der Technik derzeit sehr gering ist. Eine Interaktion mit anderen Genorten durch die Einführung der Nukleotid-Konstrukte kann nicht ausgeschlossen werden.
Bei einer anderen neuen Technologie, der RNA-abhängigen DNA-Methylierung, wird das Auslesen bestimmter Gene mittels eines Konstruktes beeinflusst, welches aus RNA, die als Zwischenspeicher in der Zelle dienen, besteht. Die „Abschaltung“ des Gens wird an die Nachkommen vererbt. Ob das eingesetzte RNA-Konstrukt auch das Abschalten nicht gewünschter Gene verursacht, wie lange das Ablesen unterdrückt wird und ob es auch die Genaktivität ankurbeln könnte anstatt sie zu unterdrücken, ist noch nicht geklärt. Die Technik wird vor allem bei einem Markergen getestet, das in vielen gentechnisch veränderten Pflanzen und Mikroorganismen eingebaut ist.
Gesetzliche Definition von „Gentechnik“: Wo stehen die Neuen?
„Gentechnik“ ist ein juristischer Begriff. Er wird in der EU in der Richtlinie 2001/18/EG beschrieben. Dort heißt es:
1. „Organismus“: jede biologische Einheit, die fähig ist, sich zu vermehren oder genetisches Material zu ̧übertragen;
2.
„genetisch veränderter Organismus (GVO)“: ein Organismus mit Ausnahme
des Menschen, dessen genetisches Material, wie es auf natürliche Weise
durch Kreuzen und/oder natürliche Rekombination nicht möglich ist
Verfahren, die zu einem gentechnisch veränderten Organismus führen, werden in Anhang 1 der Richtlinie gelistet. Dazu zählen alle Techniken, bei denen zunächst Genabschnitte außerhalb des Organismus erzeugt und dann in den Zielorganismus eingebracht werden.
Die NTWG, die Arbeitsgruppe zu neuen Technologien der EU-Kommission, ist bei ihrer Einschätzung der neuen Techniken zum Schluss gekommen, dass einige der Verfahren keine GVO im Sinne der Richtlinie 2001/18 erzeugen. Techniken, deren künstliche Gen-Konstrukte eine bestimmte Größe unterschreiten, seien nicht als Gentechnik zu bewerten. Auch wenn die gentechnische Veränderung im Zielorganismus so klein ist, dass diese auch durch eine natürlich vorkommende Mutation hätte ausgelöst werden können, sollen die Methoden nicht der Richtlinie unterliegen. Zu diesen Techniken zählen die Oligonukleotid-gesteuerte Mutagenese (OgM) und manche Formen der Zink-Finger-Nuklease. Sie seien von Genveränderungen, die auf natürliche Weise entstehen, nicht zu unterscheiden und könnten auch nicht nachgewiesen werden. Andere Juristen widersprechen diesem Argument (siehe unten).
Auch Techniken, bei denen die gentechnische Veränderung in den Zwischenschritten, aber nicht im Zielorganismus vorhanden ist, sollen laut NTWG von der Gentechnik-Richtlinie ausgenommen werden. Hierzu zählt die Reverse Züchtung oder auch die schon oben beschriebene RNA-abhängige DNA-Methylierung, die zu einer Gen-Abschaltung führt.
Zwei juristische Gutachten aus Deutschland kommen hingegen zu dem Schluss, dass die neuen Verfahren als Gentechnik eingestuft werden können und müssen. Denn, so Professor Tade Matthias Spranger von der Universität Bonn in einem Gutachten für das Bundesamt für Naturschutz, es würden Nukleinsäuren eingeführt und so „zielgerichtet in einem Organismus Veränderungen vorgenommen, die in dieser Weise in diesem konkret zur Beurteilung anstehenden Organismus mit Sicherheit nicht aufgetreten wären.
Professor Ludwig Krämer erklärte in seinem Gutachten: für die Anwendung des Gentechnik-Rechts sei entscheidend, in welcher Weise genetisches Material verändert wird. Ob hingegen das Endresultat von natürlich auftretenden Veränderungen zu unterscheiden sei, sei nicht von Belang. Genau das ist aber eines der Hauptargumente der Gentechnik-Industrie.
Für das österreichische Bundesministerium für Gesundheit sind verschiedene Szenarien denkbar: entweder die neuen Techniken fallen ebenfalls unter die bestehende Gentechnik-Gesetzgebung, oder die Risikobewertung derart hergestellter Pflanzen wird angepasst oder die neuen Techniken werden aus dem bestehenden Rechtsrahmen ausgenommen. Für das Ministerium ist jedoch klar, dass die Risikobewertung von Pflanzen, die mit neuen Techniken entwickelt wurden, nach den gleichen Prinzipien erfolgen muss wie bei Gentechnik-Pflanzen.