Erfolgreiche Pflanzenzucht auch ohne Gentechnik
Seit Jahrtausenden züchtet die Menschheit Pflanzen (und auch Tiere). Das heißt: Bauern und – später – spezialisierte Züchter wählten Exemplare von Pflanzen aus, die besonders gut wuchsen, besonders viele oder besonders leckere Früchte trugen. Diese vermehrten sie gezielt und säten sie wieder auf dem Acker aus. Über mehrere Pflanzengenerationen können so die gewünschten Eigenschaften verstärkt werden oder gar neue Sorten entstehen. Die Samen und Körner der Pflanzen, die erneut in die Erde gesteckt werden und so neue Nahrung bringen, nennt man Saatgut.
Was ist Züchtung?
„Zucht bezeichnet die künstliche Auswahl (künstliche Selektion) und kontrollierte Fortpflanzung von zwei Individuen einer Art, die bestimmte gewünschte Merkmale aufweisen. Damit sollen diese Merkmale verstärkt und unerwünschte unterdrückt werden.“ pflanzenforschung.de (Bundesministerium für Bildung und Forschung)
Fortschritt mit Nebenwirkungen
Im Lauf der Jahrhunderte, vor allem aber im 20. Jahrhundert, hat sich die Pflanzenzüchtung verändert. Die Methoden wurden wissenschaftlicher und raffinierter. So entstanden immer neue Sorten, die sehr viel Leistung – also hohe Ernten – bringen. In der Vergangenheit konzentrierten sich die meisten Züchter darauf. Das schien ihnen logisch, da viele Menschen zu wenig zu essen hatten, auch in europäischen Ländern, beispielsweise in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg.
Doch dieser Fortschritt ließ viele alte Pflanzensorten in Vergessenheit geraten, die heute dringend benötigt werden. Denn neue Herausforderungen wie der Klimawandel, der mehr Dürren, aber auch mehr Unwetter bringt, werden es den Bauern immer schwerer machen, so weiter zu arbeiten wie bisher. Die genetische Vielfalt der Pflanzenwelt muss daher bewahrt werden – da sind sich die meisten Experten einig.
Warum ist genetische Vielfalt wichtig?
„Sie stellt den Arten eine breite Zahl von genetischen Merkmalen zur Verfügung, durch welche sie zum Beispiel widerstandsfähiger gegen Krankheiten, Frost, Hitze und Trockenheit werden. Gleichzeitig wird die Chance erhöht, sich den sich verändernden Lebensräumen und klimatischen Bedingungen anzupassen. Somit hat die genetische Vielfalt eine genauso große Bedeutung wie die Vielfalt der Arten.
Leider hat sich die Vielzahl an Kulturpflanzen und Nutztierrassen in den letzten Jahren und Jahrzehnten stark verringert. In den vergangenen 100 Jahren sind bereits rund 1.000 Nutztierrassen ausgestorben. Die Intensivierung der Landwirtschaft und die Ausfuhr von Pflanzen und Tieren aus den Industriestaaten in die Entwicklungsländer spielen die wichtigste Rolle beim Verlust der genetischen Vielfalt. Der Anbau genetisch veränderter Organismen in der Landwirtschaft ist ein weiterer Aspekt, der die genetische Vielfalt bedroht. Die Eigenschaften gentechnisch veränderter Sorten übertragen sich auf Wild- und Kulturpflanze, womit die ursprünglichen Eigenschaften gefährdet sind.“ Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND): Genetische Vielfalt erhalten – Zukunft sichern
Züchtung vs. Gentechnik
Ein deutlicher Unterschied besteht zwischen Züchtung und Gentechnik. Zwar bringt auch Letztere neue Pflanzen hervor. Doch im Gegensatz zur Züchtung werden dabei natürliche Grenzen überschritten. Beispielsweise werden Gene aus den Zellen anderer Organismen – anderer Pflanzen, Bakterien, Tiere – entnommen und in die Pflanzenzellen eingefügt. So entstanden u.a. Maispflanzen, die ein Gift herstellen, das schädliche Insekten töten soll. Das Gift stammt eigentlich von Bakterien. Gentechnisch veränderte Pflanzen werden seit den 1970/1980er Jahren entwickelt, seit Mitte der 1990er Jahre bauen Landwirte sie an, vor allem in den USA, Kanada, Brasilien und Argentinien. Sie produzieren Mais, Soja und Raps, die Ernten werden überwiegend an Tiere in Großställen verfüttert.
Die Gentechniker argumentieren, mit dieser Technologie könnten Pflanzen entwickelt werden, die im Kampf gegen den weltweiten Hunger helfen. Doch abgesehen davon, dass die meisten Gentech-Pflanzen im Futtertrog von Tieren landen (deren Fleisch, Milch und Eier sich die ärmsten Menschen der Welt gar nicht leisten können), hat die Gentechnik das Versprochene bislang nicht einhalten können. So schrieb beispielsweise die Deutsche Welthungerhilfe: „Eine nachhaltige Einkommenssteigerung zugunsten der Kleinbauern in Entwicklungsländern durch die Grüne Gentechnik konnte bis heute nicht nachgewiesen werden, ebenso wenig ein Beitrag zur Hungerbekämpfung.“
So sehen das auch Vertreter von afrikanischen Organisationen. Gentechnisch veränderte Pflanzen seien eine große „Gefahr für Afrikas größten Schatz“ – die Vielfalt – erklärten Million Belay von der Allianz für Ernährungssouveränität in Afrika und Ruth Nyambura vom Afrikanischen Biodiversitätsnetzwerk 2013 in der britischen Zeitung The Guardian.2 Anstatt auf modernes Hochleistungs-Saatgut, künstlich hergestellte Dünger und giftige Spritzmittel sollten Afrikas Landwirte – und die Regierungen ihrer Länder sowie der reichen Partnerländer in Europa und Amerika – auf Tradition setzen. Also auf ihre eigenen, seit Jahrhunderten verwendeten und verbesserten Sorten, die sie selbst vermehren und mit anderen Bauern tauschen.
Unterschiede beim Saatgut
Saatgut kann ein traditionelles und kulturelles Gut sein oder aus dem Labor stammen. Es kann gratis sein bzw. getauscht werden oder aber teuer, lizenziert und eventuell sogar patentiert.
Hier einige Unterschiede:
Samenfest: Saatgut, das als „samenfest“ bezeichnet wird, ist in der Natur der Normalfall. Samen/Körner können nach der Ernte aus Früchten oder vom Getreidehalm genommen und im nächsten Jahr wieder in die Erde gesteckt, d.h. ausgesät werden. Neue Pflanzen entstehen. Samenfestes Saatgut wird von den Landwirten, besonders in ärmeren Ländern, aufgehoben, weiterentwickelt und unter einander ausgetauscht.
Hybrid: stammt aus spezieller Züchtung (Pflanzen, die normalerweise von anderen Pflanzen befruchtet werden, werden dazu gebracht, sich selbst zu befruchten („Inzucht“); diese künstlich erzeugten Inzuchtlinien werden gekreuzt). Hybrid-Pflanzen bringen oft eine hohe Ernte, aber aus ihnen kann kein brauchbares Saatgut gewonnen werden, denn die folgenden Pflanzengenerationen verlieren die gewünschten Eigenschaften. Die Bauern müssen also jedes Jahr neues Saatgut kaufen, meist von großen Firmen. In Europa und Amerika dominieren heute Hybrid-Sorten (Hybride erkennt man, z.B. im Gartencenter, oft am Aufdruck „F1“ auf der Verpackung)
Gentechnik: Bei der Gentechnik werden die natürlichen Schranken durchbrochen. Beispielsweise werden Gene aus einem Bakterium in eine Pflanze eingebaut. Durch normale Züchtung ist das kaum möglich. Die Entwicklung solcher Pflanzen im Labor kostet viel Geld (ca. 100 Millionen Dollar, sagt die Industrie). Leisten können sich das vor allem große Unternehmen. Um ihr Geschäft zu schützen, lassen sie sich die Gentechnik-Pflanzen patentieren, d.h. als „geistiges Eigentum“ anerkennen (Patente auf Pflanzen aus normaler Züchtung sollen eigentlich nicht erlaubt sein, doch Patentämter halten sich nicht immer daran.
Erfolgsbilanz der „normalen“ Züchtung
Es spricht einiges dafür, dass alte Pflanzensorten und herkömmliche Züchtung erfolgreicher waren und sein können als aufwendige und teure Gentech-Methoden. „In den letzten Jahrzehnten war die treibende Kraft bei der Ernteverbesserung tatsächlich die traditionelle Züchtung, und das wird auf absehbare Zeit wahrscheinlich auch so bleiben“, schrieb die US-amerikanische Umweltarbeitsgruppe (Environmental Working Group) im März 2015. Um aufzuholen, bräuchte die Gentechnik einen „riesigen Sprung“, so die Annahme der Organisation.
Hier einige Beispiele für erfolgreiche Pflanzenzüchtung ohne Gentechnik:
Reis: hohe Ernten; wächst auch bei Überflutung (Indien); wächst auch bei Dürre (Nepal); wächst auch in versalzten Böden (Gambia, Philippinen)
Das Internationale Reisforschungsinstitut IRRI stellte im Jahr 2014 allein 28 neue Reissorten vor, die nun in Asien und Afrika angebaut werden können. Zum Vergleich: dasselbe Institut arbeitet seit 2006 an einem einzigen Gentechnik-Reis (an dem sich zuvor aber bereits andere Forscherteams seit Jahren versucht haben). Bislang ist unklar, wann der sogenannte „Goldene Reis“ fertig sein wird. Mit wesentlich weniger Mitteln kann die philippinische Bauernvereinigung MASIPAG Erfolge vorzeigen: nach eigenen Angaben4 hat sie mehrere dürre-resistente und ein Dutzend salzwasser-tolerante Reissorten gezüchtet; hinzu kommen traditionelle Sorten, die diese Eigenschaften von Natur aus besitzen.
Kartoffeln können in versalzten Böden wachsen (Niederlande, Pakistan)
Versalzte Böden sind für Landwirte, vor allem in armen Ländern, ein großes Problem (zur Versalzung kommt es zum Beispiel, wenn in trockenen Gebieten viel bewässert wird und dieses Wasser verdunstet – das Salz aus dem Wasser bleibt im Boden zurück; auch zu viel künstlicher Dünger kann zu Versalzung führen). Auf einer holländischen Insel testete ein Ökobauer zusammen mit Forschern der Universität Amsterdam dutzende Kartoffelsorten. Einige kamen mit dem Salz im Boden besser zurecht. Sie bearbeiteten die Züchter weiter, bis eine salztolerante Sorte entstanden war. Diese wurde 2015 in Pakistan getestet, die Ernte soll „sehr vielversprechend“ gewesen sein.
Mais kann auf Böden mit wenig Nährstoffen wachsen (Afrika)
Kleinbauern in armen Ländern können sich nur wenig oder keinen Dünger leisten. Künstlich hergestellte Düngemittel belasten zudem die Umwelt, da ihre Produktion viel Energie verschlingt und sie Gewässer verunreinigen können. Ein Forschungsprojekt (Improved Maize for African Soils) hat seit 2010 über 20 Maissorten gezüchtet, die mehr Ertrag aus stickstoffarmen Böden holen können. Zwar beschäftigt sich das Projekt auch mit der Gentechnik. Doch gegenüber dem Wissenschaftsmagazin Nature gaben Vertreter 2014 zu: für eine vergleichbare Gentechnik-Maissorte bräuchten sie noch mindestens zehn Jahre.
Möhren/Karotten besonders für den Bio-Landbau ohne künstlichen Dünger und chemische Spritzmittel geeignet.
Züchter aus Schleswig-Holstein und der Schweiz haben die Karottensorten „Solvita“ und die noch namenlose KS-MOG-SAT202 gezüchtet. Sie sollen eine Alternative zu Hybrid-Sorten sein, die zwar hohe Ernten liefern, sich aber nicht zum Weiterzüchten durch die Landwirte eignen und bei denen andere wichtige Eigenschaften oft verloren gegangen sind. „Beide Sorten zeigen sich in Anbauversuchen ertraglich mit den Hybriden oft auf Augenhöhe“, schrieb eine Ökolandbau-Beraterin im März 2015.
Öko-Landbau braucht eigene Sorten
Weil sie auf künstlich hergestellte Düngemittel und auf giftige Chemikalien verzichten, brauchen Bio-Landwirte besondere Pflanzensorten. Viele sind aber verloren gegangen. Zum Beispiel zahlreiche alte Apfelsorten. „Apfelzüchtung wird immer mehr in das Labor verlegt, wo mit öffentlichen Fördermitteln gentechnische Eingriffe vorgenommen und patentierte Sorten geschaffen werden, die nicht mehr frei zugänglich oder handelbar sind“, kritisiert der Verein Saat:gut. „Die modernen Apfelsorten der letzten Jahrzehnte lassen sich fast durchgängig auf max. fünf Stammeltern zurückführen; diese enge genetische Basis wirkt sich negativ auf die Vitalität der heutigen Apfelsorten aus. Die Stammeltern Golden Delicious, Cox Orange, Jonathan, McIntosh, Red Delicious bringen z.B. typische Krankheiten wie Schorf, Mehltau und Obstbaumkrebs mit.“
Fazit
Pflanzenzucht ist eine Errungenschaft. Die Menschheit entwickelte das nötige Wissen über Jahrtausende weiter und verbesserte so ihre Überlebenschancen deutlich. Die daraus entstandenen Pflanzensorten und ihr Saatgut sind ein wichtiges kulturelles Erbe. Heute verdrängen Industrie-Saatgut (Hybride) und gentechnisch veränderte Pflanzen, die häufig patentiert sind und vor allem die Kassen großer Unternehmen füllen sollen, vielerorts die traditionellen Sorten. Doch viele Experten gehen davon aus, dass gerade angesichts des Klimawandels diese „alten“ Pflanzen gebraucht werden und züchterisch weiter bearbeitet werden müssen. Die Vielzahl an genetischen Eigenschaften sei nötig, um die Grundlage unsere Ernährung zu sichern.
Auch mit einer weiteren Zunahme von resistenten Unkräutern ist zu rechnen. In einer Datenbank, an der Gentech- und Pestizidhersteller wie Monsanto und Syngenta beteiligt sind, sind schon 250 solcher Unkrautarten gelistet. Herbizidresistente Systeme, ob Gentechnik oder aus konventioneller Züchtung, verschärfen diese Entwicklung.
Als CRISPR (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats) werden sich auf bestimmte Weise wiederholende DNA-Abschnitte bezeichnet. Sie kommen bei verschiedenen Lebewesen, z.B. Bakterien vor, die damit fremde DNA als Eindringling erkennen und bekämpfen können.
Diese natürliche Reaktion nutzt die CRISPR-Cas-Technik. Sie zählt zu den neuen Gentechnik-Verfahren, die als „Genome Editing“ immer mehr Aufmerksamkeit erfahren. Cas ist ein Enzym, das die DNA an vorgegebenen Stellen schneiden und so für Änderungen sorgen soll. Unternehmen und Wissenschaftler erklären CRISPR-Cas für deutlich präziser als die „klassische“ Gentechnik, die mit der sog. Gen-Kanone oder Agrobakterien arbeitet. Konzerne wie Dupont und Monsanto haben erste „Produkte“ in der Entwicklung.