Grippemedikamente – Die überschätzten Retter
Tamiflu und Relenza gegen die Grippe: Wirksam oder nicht?
Die Angst vor einer Vogelgrippe-Seuche unter Menschen hat Tamiflu und Relenza den Ruf von Rettern in der Not eingebracht. Doch die antiviralen Medikamente könnten den Ausbruch einer Pandemie nicht verhindern. Es ist nicht einmal sicher, ob sie überhaupt wirken würden.
Die rasante Ausbreitung der Vogelgrippe steigert die Furcht davor, dass das H5N1-Virus mutieren und eine Pandemie unter Menschen auslösen könnte. In diesem Zusammenhang verwenden insbesondere Gesundheitspolitiker gern eine verbale Beruhigungspille: Tamiflu.
Das Virenmittel mit dem Wirkstoff Oseltamivir hilft gegen die Influenza und ist seit 2002 auf dem Markt. Vergangene Woche haben die Bundesländer in der Sondersitzung der Gesundheitsminister-Konferenz beschlossen, für 20 Prozent der Bevölkerung antivirale Mittel einzulagern – eine Empfehlung, die das Berliner Robert-Koch-Institut bereits seit Monaten ständig wiederholt. Nur wenige Bundesländer wie etwa Nordrhein-Westfalen oder Bayern hatten die geforderten Mengen bereits bei den Pharmafirmen bestellt. Berlin und Brandenburg etwa besitzen hingegen für nur rund fünf Prozent der Bevölkerung Medikamente.
Das hat bereits für Streit unter Vertretern der einzelnen Bundesländer gesorgt. Doch Tamiflu ist kein Wundermittel, ebensowenig wie Relenza, das einzige weitere Produkt auf dem Markt, das nachweislich gegen die Influenza-Grippe hilft. Sollte das H5N1-Virus mutieren und von Mensch zu Mensch übertragbar sein, könnten die Medikamente keinesfalls den Ausbruch einer Pandemie verhindern oder die Seuche auch nur stoppen, sondern lediglich die Symptome bei den Erkrankten dämpfen.
Impfstoff existiert nicht
Denn ein Impfstoff, der eine Erkrankung von vornherein verhindern würde, existiert nicht – und es ist mehr als fraglich, ob es überhaupt möglich ist, einen Impfstoff gegen ein Virus zu entwickeln, das es noch gar nicht gibt und dessen Eigenschaften unbekannt sind. Aus dem gleichen Grund ist auch nicht sicher, ob Tamiflu und Relenza gegen einen solchen Erreger wirken würden.
Schwerer als diese theoretischen Fragen wiegen die praktischen Probleme, sollte es zu einer globalen Seuche kommen. Üblicherweise haben Mediziner bei Grippewellen das Problem, dass die Infizierten sehr spät zur Behandlung kommen – wenn sie bereits unter heftigen Beschwerden leiden und das Virus weiterverbreitet haben.
Sollte aber ein mutiertes H5N1-Virus die lange beschworene Grippe-Pandemie auslösen, würden wahrscheinlich Tausende Patienten die Praxen und Krankenhäuser stürmen und über allerlei grippeähnliche Symptome wie Kopf- und Gliederschmerzen klagen. Das einzige messbare frühe Symptom einer Grippe ist jedoch hohes Fieber. Alles andere ist für einen Arzt nur schwer nachprüfbar.
Frühe Tamiflu-Verabreichung birgt Gefahren
Allerdings können die Mediziner nicht abwarten, bis sich stärkere Symptome zeigen. Denn Tamiflu muss früh, am besten innerhalb von 24 Stunden eingenommen werden, um wirken zu können. Studien zufolge verhindert es dann schwere Komplikationen, verkürzt die Krankheitsdauer um 1,5 Tage und verringert die Virenmenge im Körper.
Wäre also eine frühe und flächendeckende Tamiflu-Medikation das Mittel gegen die drohende Pandemie? Wohl kaum. Die Gefahr, dass das Virus gegen das Medikament resistent wird, stiege in einem solchen Fall drastisch. Erste Warnzeichen haben Forscher schon gefunden: Im Dezember vergangenen Jahres sind zwei vietnamesische Mädchen an der Vogelgrippe gestorben. In ihrem Blut hatten Ärzte mutierte Viren entdeckt, die einem Angriff durch Oseltamivir alias Tamiflu entgehen konnten. Vor allem eine falsche Einnahme kann nach Ansicht von Medizinern dazu führen, dass die Erreger immun werden gegen die Medikamente.
„Es ist gefährlich, wenn Menschen Tamiflu zu Hause horten und es bei den ersten Anzeichen eines Hustens schlucken“, meint Michael Kochen, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin. „Dadurch haben die wirklich gefährlichen Erreger erst die Möglichkeit, sich an die Medikamente anzupassen.“ Wichtig ist nach Kochens Ansicht deshalb, immer einen Arzt aufzusuchen, bevor man Tamiflu einnimmt.
„Husten, Schnupfen, Heiserkeit und ein bisschen Fieber sind noch lange kein Grund, antivirale Medikamente zu schlucken“, so der Direktor der Allgemeinmedizin an der Universität Göttingen. „Wir brauchen Tamiflu dringend und müssen verantwortungsvoll damit umgehen, um keine Resistenzen zu züchten.“
An eine Infektion mit H5N1 würde Kochen derzeit nur in ganz speziellen Fällen denken: „Vor allem muss der Patient engen Kontakt zu Vögeln gehabt haben. In den bekannten Fällen hatten die Betroffenen zusätzlich meist eine schwere Lungenentzündung. Das wäre für mich der Moment, in dem ich einen Patienten auf eine Isolierstation legen und ihm so schnell wie möglich Tamiflu geben würde.“
Unklar ist noch, ob ein gegen Tamiflu resistentes Vogelgrippe-Virus auch gegen das Mittel Relenza und dessen Wirkstoff Zanamivir immun ist. Beide Mittel blockieren das für die Viren wichtige Enzym Neuraminidase. Ist das Eiweiß inaktiv, können sich die Erreger nicht weiter vermehren. Gegen Relenza haben Forscher bislang noch keine Resistenzen entdeckt. „Zanamivir hat eine andere Raumstruktur“, meint Christiane Eckert-Lill, Geschäftsführerin Pharmazie der Bundesvereinigung deutscher Apothekerverbände. „Dadurch kann Zanamivir möglicherweise auch dann die Viren blockieren, wenn Tamiflu schon nicht mehr wirkt.“
Langer Weg zum Medikament
Doch selbst angenommen, die Arzneien bleiben durchgehend wirksam: So schnell wird es nicht für jeden eine Ration geben. Denn weder Tamiflu noch Relenza lassen sich von einem auf den anderen Tag herstellen. Die Pharmafirma Roche hat die Produktionszeit von Tamiflu zwar von neun auf sechs Monate verkürzt, doch das ist noch immer zu lang, wenn eine Pandemie ausbricht. Auch Relenza-Hersteller GlaxoSmithKline ist nicht schneller.
Das Stuttgarter Katharinenhospital hat sich kürzlich zu einem Schritt entschieden, den bislang nur die 16 Bundesländer sowie die Bundeswehr getan haben: Das Krankenhaus hat bei Roche den reinen Wirkstoff bestellt. Oseltamivir ohne Verpackung, ohne Kapseln – nur weißes Pulver. Davon lagern jetzt 14 Kilogramm im Keller der Klinik. Für den Notfall.