Wissenschaftler hinterfragen die Ernährungsberatung der DGE
Die Vorgaben der DGE in der Kritik von Wissenschaftlern
Der Rotstift des Bundesfinanzministers hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) in Frankfurt am Main nicht erreicht. 3,6 Millionen Mark aus den Etats des Landwirtschafts- und des Gesundheitsministeriums für die 33 Mitarbeiter der Hauptgeschäftsstelle am Main bleiben ebenso unangetastet wie die gesonderten Haushalte von acht der elf Sektionen in den Bundesländern. Nun wird aus dem wissenschaftlichen Bereich Kritik an der 1953 gegründeten DGE laut. Der Ernährungswissenschaftler Nicolai Worm, Mitglied des Humanwissenschaftlichen Zentrums der Münchner Maximilian-Universität: „Da müsste man mal kritisch nachfragen: Wie lange kann sich eine Gesellschaft leisten, Ziele nicht zu erreichen und weiter vom Staat subventioniert zu werden.“
Die Vorgaben der DGE gelten als richtungsweisend
Die Vorgaben der DGE bilden die Grundlage für Informationsbroschüren, die Ausbildung von Ernährungsberatern und Diätköchen. Ihre Empfehlungen für Vitamine und Nährstoffe beziehen sich auf alle Altersgruppen vom Säugling bis zum Greis. Zu den Aufgaben der Ernährungsforscher gehört im Wesentlichen „die fortlaufende Aktualisierung der Empfehlungen für die Nährstoffzufuhr, um für die richtige und vollwertige Ernährung unserer Bevölkerung die notwendigen Richtlinien zu liefern“. Im Vier-Jahres-Rhythmus veröffentlicht die DGE den „Ernährungsbericht“, um die aktuelle Lage in Deutschland darzustellen.
Zum Beispiel Fleisch
Der promovierte Ökotrophologe Worm, der auch an der Kölner Trainerakademie des Deutschen Sportbundes lehrt, zeigt sich durch die Empfehlungen der DGE hingegen eher verwirrt. Dies ist beispielsweise ausgelöst durch den DGE-Ratschlag, nur zwei- bis dreimal pro Woche Fleisch zu essen. Dies bedeute im Umkehrschluss, so interpretiert Worm, drei- bis viermal Fleisch pro Woche sei nicht empfehlenswert, fünf bis sechs Portionen seien gar bedenklich – für ihn ein Unding: „Diese Empfehlungen sind durch nichts belegt, auch nicht, dass das gesundheitliche Vorteile bringen würde.“ Es gebe „keine einzige Studie auf der Welt“, die die Ernährungsformen einer Gruppe von Menschen über fünf oder zehn Jahre beobachtet habe.
Helmut Oberritter, wissenschaftlicher Leiter der DGE, kontert mit einem Verweis auf eine Sieben-Länder-Studie von 1960. Sie habe „gezeigt, dass zum Beispiel die klassische Mittelmeerernährung, wie sie damals auf Kreta praktiziert wurde, sehr viele gesundheitliche Vorteile mit sich bringt“ – auf Kreta seien damals täglich im Durchschnitt nur 35 Gramm Fleisch gegessen worden. Der Rat, nur dreimal pro Woche Fleisch zu essen, sei „natürlich kein Dogma“. Ziel sei es nicht, „Fleich zu tabuisieren, sondern die pflanzenbetonte Ernährung zu fördern, die gesünder ist als viel Fett und viel Eiweiß“.
Ländervergleiche hinken
Ulrike Gonder vom Europäischen Institut für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften in Frankfurt/Main kritisiert die fast 40 Jahre alte erdumspannende Studie: „Japan, Finnland und Griechenland unterscheiden sich in sehr, sehr vielen Lebensstilfaktoren, nicht nur in der Ernährung. Und das alles kann das Krankheitsrisiko beeinflussen.“ Unterschiede hätten „keinerlei Beweiskraft für die Menschen in Deutschland“. Wenn ein Volk eine durchschnittliche Lebenserwartung von 50 Jahren habe, „ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Menschen an Herzinfarkt sterben, sehr gering“.
Zum Beispiel Folsäure
Gonder stellt auch die Empfehlungen der DGE für die Nährstoffzufuhr infrage: So erwecke die Tabelle für Folsäure, wichtig für den Zellstoffwechsel, den Eindruck, der Bedarf eines 25-Jährigen sei wissenschaftlich bekannt. Weil jedoch entsprechende Untersuchungen nur mit einigen wenigen Versuchspersonen durchgeführt worden seien, wurde die Empfehlung korrigiert, solle so „ein Sicherheitszuschlag von 50 Prozent die individuelle Variabilität ausreichend ausgleichen“. Mehr noch: Weil Folsäure vom Körper nur zur Hälfte aufgenommen werde, „verdoppelt die DGE den bereits geschätzten Wert nochmals“ und komme bei Schätzungen plus Zuschlägen auf insgesamt 300 Mikrogramm. Über den täglichen Folsäurebedarf von Kindern, so Gonder, gebe es jedoch in Wirklichkeit „überhaupt keine Daten“. Da mache man es sich einfach und rechne von den schlechten Daten für Erwachsene „jetzt auf Kinder runter“. Ihr Fazit: „Da hätte man auch würfeln können.“ Oberritter akzeptiert das nicht: „Neue Studien bestätigen, dass Folsäure nicht schädlich ist und etwa Missbildungen von Kindern im Mutterleib verhindert.“ Deshalb sei es „richtig, eine ausreichende Versorgung mit Folsäure sicherzustellen“.
Zum Beispiel Vitamin C
Ulrike Gonder glossiert auch den angeratenen Bedarf an Vitamin C, der sich offenbar nach der Nationalität richtet: „Schauen Sie nach Frankreich; da werden 80 Milligramm empfohlen. Die armen Briten müssen mit 30 Milligramm auskommen, die Italiener mit 45 – und wir Deutsche liegen so im oberen Bereich bei 75 Milligramm.“ Ihr Fazit nach 40 Jahren Ernährungsberatung in Deutschland: „Die Leute essen nach wie vor das gleiche – aber heute mit schlechtem Gewissen. Und dafür, dass wir nach 40 Jahren an diesem Punkt sind, können doch nicht Steuergelder ausgegeben werden.“
Der wissenschaftliche Leiter der DGE weist die Kritik zurück
„Wir verschleudern keine Steuergelder“, verteidigt sich Oberritter, „unsere Finanzierung müsste eher gestärkt als gestrichen werden.“ Und er argumentiert: Die Einführung eines Keksriegels hat einen Drei-Jahres-Etat von 100 Millionen Mark; für die Etablierung einer Praline am Markt gibt die Industrie 28 Millionen aus.“