Krebsvorsorge: USA schaffen umstrittenen Prostata-Test ab
Gefährliche Medizin? Mit dem sogenannten PSA-Test wollen Ärzte Prostatakrebs entdecken. Doch das Verfahren gilt als unsicher, gesunde Männer werden irrtümlich operiert. Die US-Regierung will jetzt die Kostenübernahme ganz abschaffen. Deutschen Urologen geht dieser Vorstoß aber zu weit.
Ein Skydiver stürzt sich aus dem Flugzeug, ein Surfer reitet auf einer Riesenwelle, ein Kajakfahrer lässt sich von einem Wasserfall mitreißen. Dann erscheinen drei Worte: „Men take risks“ (Männer gehen Risiken ein). Ein Rodeoreiter auf einem wilden Ochsen, ein Motorradfahrer beim Sprung in die Höhe. Dann: „28.000 Männer sterben jedes Jahr.“ Ein Salto springender Wasserboarder. Pause. „An Prostatakrebs“.
Die Auflösung folgt prompt: „Don’t take the risk – get checked“ (Gehen Sie kein Risiko ein – lassen Sie sich testen).
So einer von vielen Werbefilmen, die in den USA häufig zu sehen sind. Die Rede ist von Prostatakrebs-Vorsorge. Wer die Radio- und Fernsehkanäle überschwemmt, erreicht die Menschen auch: Einem Gremium des US-Gesundheitsministeriums zufolge gewinnt der sogenannte PSA-Test, der Veränderungen der Prostata anzeigen soll, zunehmend an Beliebtheit. 44 Millionen Männer über 50 Jahre leben demnach in den USA, 33 Millionen davon haben ihren PSA-Wert schon einmal testen lassen. Doch damit soll jetzt Schluss sein. Gesunde Männer, so eine Entscheidung des US-Gesundheitsministeriums, sollen nicht mehr getestet werden.
Der Grund: Immer mehr Mediziner zweifeln an der Aussagekraft des Tests, denn in vielen Fällen kommt es zu einer falsch positiven Diagnose. Mit fatalen Folgen: In den Jahren 1986 bis 2005 wurden nach Angaben des Gremiums eine Million Männer operiert, bestrahlt oder beides, die ohne den PSA-Test niemals behandelt worden wären. Mindestens 5000 von ihnen starben kurz nach der OP und 10.000 bis 70.000 litten unter schweren Komplikationen, bei 20.000 bis 30.000 kam es zu Nebenwirkungen wie etwa Impotenz oder Inkontinenz.
Richard Albin, gewissermaßen der Erfinder des PSA-Tests, spricht angesichts dieser Zahlen in der „New York Times“ von einem „Desaster für das Gesundheitswesen“. Auch dem SPIEGEL sagte der US-Immunologe, dass der Bluttest kaum genauer als ein Münzwurf sei.
Desaster für das Gesundheitswesen
Das Gremium des Ministeriums – die U.S. Preventive Services Task Force, die im US-Gesundheitswesen eine mächtige Rolle innehat – hat jetzt einen Entwurf für die neue nationale Empfehlung vorgelegt. Bereits nächste Woche soll die endgültige Fassung vorliegen. Darin steht, dass es keinen Beweis dafür gebe, dass der PSA-Test oder das Abtasten der Prostata oder eine Ultraschall-Untersuchung Leben retten würden. Deshalb lautet der neue Rat des Gremiums: Männer sollten nicht mehr routinemäßig untersucht werden.
Das Ende für den flächendeckenden PSA-Test wäre ein weiterer Schritt weg von Vorsorgeuntersuchungen mit zweifelhaftem Nutzen: Bereits vor zwei Jahren vollführte die US-Regierung eine ähnliche Kehrtwende. Lautete einst ihr offizieller Rat an Frauen ab 40, regelmäßig ihre Brüste per Mammografie untersuchen zu lassen, gilt die Empfehlung inzwischen erst für Frauen ab 50.
Was die Prostatakrebs-Vorsorge betrifft, basiert der neue Vorstoß des US-Gesundheitsministeriums auf den Ergebnissen von insgesamt fünf Studien; eine davon war erst vor wenigen Monaten im „British Medical Journal“ erschienen. Auch darin zweifeln die Ärzte am Nutzen der Prostatakrebs-Vorsorge. Eine Untersuchung im Jahr 2009 hatte zuvor ergeben: Um nur einen Todesfall durch Prostatakrebs zu verhindern, müssen 1400 Männer zum Screening gehen und 48 Krebspatienten behandelt werden.
Deutsche Urologen kritisieren Vorstoß als zu drastisch
Über die Studienlage diskutieren auch deutsche Urologen und Krebsmediziner seit Jahren. Allerdings ist der Umgang mit dem PSA-Screening hierzulande etwas anders: „In den USA wird der PSA-Test viel mehr zum Einsatz gebracht, als es in Europa jemals der Fall war“, sagt Oliver Hakenberg vom Universitätsklinikum Rostock. Im Gegensatz zu den USA mit ihrer massiven Werbung würde die Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU) das Screening nicht propagieren.
Hakenberg kritisiert die Vorgehensweise in den USA: „Nachdem die Amerikaner bisher keine Grenzen bei der PSA-Testung kannten, gehen sie jetzt in die umgekehrte Richtung und schütten dabei das Kind mit dem Bade aus“, sagt der Mediziner. Den neuen Empfehlungs-Entwurf des Gremiums findet er zu drastisch: Zu behaupten, dass keine der angewandten Untersuchungsmethoden – darunter das Abtasten der Prostata sowie der Ultraschall – für eine Früherkennung geeignet seien, hält er für Unsinn.
„Die Frage, ob ein Prostatakrebs-Screening gut ist oder nicht, ist bisher nicht eindeutig zu beantworten“, sagt Hakenberg. Alle Studien, die den Nutzen des PSA-Tests untersuchen, würden als statistisch ausgewertetes Ergebnis nur den Tod an Prostatakrebs einbeziehen. Dabei werde nicht berücksichtigt, wie viele Männer an Prostatakrebs leiden, aber nicht direkt daran sterben – stattdessen aber etwa an einem Herzleiden.
Auch in den USA stößt der neue Entwurf des Gesundheitsministeriums auf Kritik: Ein Vertreter einer Interessengruppe für Patienten, die den Prostatakrebs überlebt haben, sagte der „New York Times“: „Wir sind enttäuscht. Das ist der beste Test, den wir haben. Und die Antwort kann nicht sein: ‚Lassen Sie sich nicht testen‘.“
PSA-Test nur in Kombination mit Abtasten
Auch die Hersteller von PSA-Tests dürften nicht erfreut sein. In den
USA werden jedem Mann die Kosten für den Test im Rahmen von staatlichen
Gesundheitshilfen wie „Medicare“ ersetzt. Doch die meisten
gesundheitlichen Einrichtungen folgen den Empfehlungen des US-Gremiums.
Lautet also die Empfehlung auf Nicht-Testen, würde der Kostenersatz
vermutlich in den meisten Fällen ausfallen.
In Deutschland werden die
Kosten nicht in jedem Fall übernommen. Grundsätzlich wird es jedem
Einzelnen überlassen, ob er einen PSA-Test machen lässt. Liegen keine
Verdachtsmomente vor, muss der Patient die Kosten von 15 bis 45 Euro aus
eigener Tasche zahlen. Nur die jährliche Untersuchung für Männer ab 45
wird von Kassen bezahlt.
Dabei will es die DGU zunächst auch belassen. Möchte ein Patient eine
zuverlässige Prostatakrebs-Vorsorge, dann empfiehlt die DGU aber einen
PSA-Test ausdrücklich in Kombination mit dem Abtasten.
Schätzungen
oder Statistiken darüber, wie viele Männer in Deutschland eine
Prostatakrebs-Vorsorgeuntersuchung in Anspruch nehmen, gibt es nicht.
Eindeutig sind nur diese Zahlen: Bei 64.000 Männern wird die Krankheit
jährlich diagnostiziert, etwa 11.500 im Jahr sterben nach Angaben des
Robert Koch-Instituts (RKI) daran. Das sind rund 10 Prozent aller
Krebstoten. In den USA starben etwa 32.000 Männer vergangenes Jahr an
Prostatakrebs. Die meisten von ihnen sterben jedoch ab einem Alter von
über 75 Jahren.
Schon allein aufgrund dieser Zahlen, so sieht es Hakenberg, dürfe man
bei aller berechtigten Diskussion über Überdiagnose und Übertherapie
die Erkrankung nicht bagatellisieren.
Und so ist es wohl auch immer
eine Frage der persönlichen Erfahrung, auf welche Seite der Debatte man
sich schlägt. Manchen Patienten hat der zu hohe PSA-Wert bereits
erhebliches – unnötiges – Leid erbracht. Mancher aber geht davon aus,
sein Leben dadurch gerettet zu haben. Viele Mediziner glauben, dass aus
diesem Dilemma nur eins helfen kann: Ein neuer Test, bei dem der Nutzen
den möglichen Schaden weit überwiegt. Doch daran werden Forscher
vermutlich noch einige Jahre arbeiten müssen.