Gesundheitsreform: Einfluss der Pharmalobby
Die Pharmaindustrie nimmt offenbar erfolgreich Einfluss auf die geplante Gesundheitsreform.
Bei der Bewertung von neuen Medikamenten folgt die Koalition einem Vorschlag der Arzneimittelhersteller. Die SPD spricht von der „dreistesten Lobbyarbeit seit Jahren“.
Die Koalition schraubt an der Bewertung neuer Arzneimittel und folgt dabei auch einem Vorschlag der Pharmaindustrie. So soll das Bundesgesundheitsministerium die Nutzenbewertung regeln – und nicht der gemeinsame Bundesausschuss aus Ärzten, Kassen und Kliniken. Die Bewertung soll Basis für die Rabattverhandlungen von Pharmaherstellern und Krankenkassen sein. In der Koalition bekennt man freimütig, dass dies auch ein Signal an Pharmaindustrie sei, damit der Pharmastandort Deutschland attraktiv bleibe.
Seit Jahren treiben die Preise für neue Arzneimittel, die die Pharmafirmen frei festsetzen, die Kassen-Ausgaben in die Höhe. Kritiker monieren, die Mittel seien oft nur um Nuancen verändert – stark höhere Preise deshalb nicht vertretbar. Den Nutzen einer Arznei beurteilen zurzeit alleine der Gemeinsame Bundesausschuss und das Institut für Wirtschaftlichkeit und Qualität im Gesundheitswesen (Iqwig) – nach streng wissenschaftlichen Kriterien. Dabei wird begutachtet, ob ein Medikament die Sterblichkeitsrate senkt, weniger Folgeerkrankungen und Nebenwirkungen verursacht und die Lebensqualität der Patienten steigert.
Aus Koalitionskreisen ist zu vernehmen, dass in Zukunft auch weichere Kriterien – wie die Patientenzufriedenheit – eine Rolle für die Nutzenanalyse spielen sollen. Kritiker befürchten, dass so mehr Scheininnovationen auf den Markt gelangen, die zwar der Industrie Geld, dem Patienten aber keinen Vorteil bringen.
Von der Industrie übernommen
In dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktion heißt es nun: „Das Bundesministerium für Gesundheit regelt durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrats das Nähere zur Nutzenbewertung.“ Damit würden erstmals auch von der Politik festgelegte Kriterien mit einfließen. Das Pikante: Genau dies hatte Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) in einem Papier vorgeschlagen. Im Gesetzentwurf für die Neuordnung des Arzneimittelmarktes war noch geplant, dass der gemeinsame Bundesausschuss aus Ärzten, Kassen und Kliniken die wichtigen Details unabhängig von der Politik regelt. Die „Süddeutsche Zeitung“ und die „Berliner Zeitung“ hatten berichtet, Formulierungen aus dem vfa-Papier seien nahezu wortwörtlich in einen Änderungsantrag der Fraktionen von Union und FDP eingeflossen.
Das Bundesgesundheitsministerium wies diesen Eindruck zurück. Der Antrag der Fraktionen sei auf Grundlage eines Referentenentwurfes des Ministeriums entstanden, der vom Kabinett beschlossen und im Juli in den Bundestag eingebracht wurde. Der Vorschlag des vfa zitiere insofern den Kabinettsbeschluss aus dem Juni. An den vorgesehenen Kriterien für die Nutzenbewertung habe sich im Vergleich zum Gesetzentwurf nichts geändert, sagte ein Ministeriumssprecher weiter. Er bestätigte aber, dass nun nicht mehr der Bundesausschuss, sondern das Gesundheitsministerium den Rahmen für die Kriterien geben soll. „Das bedeutet keine Aufweichung zugunsten der Pharmaindustrie.“ Die Koalition wolle sicherstellen, dass der geplante Weg, das Preismonopol der Industrie in Vertragsverhandlungen zu überführen, erfolgreich begleitet werde.
Kritik gab es hingegen von Kassen und SPD. Eine Sprecherin des Kassen-Spitzenverbands sagte, es wäre besser, der Bundesausschuss würde die Nutzenbewertung regeln, weil hier Sachverstand gesichert sei. Die Vorgaben wären zudem dann von wechselnden politischen Mehrheiten unabhängig. SPD- Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach wertete die Änderung in der SZ als „dreisteste Lobbyarbeit, die ich seit Jahren erlebt habe“. CDU- Gesundheitspolitiker Jens Spahn sagte dagegen, die Nutzenbewertung solle allein nach wissenschaftlichen Kriterien erfolgen. „Alles andere wäre fatal und wird es mit uns nicht geben.“