Vitamin-Defizit in Deutschland – Wissenschaftler schlagen Alarm
Deutschlands Vitaminversorgung muss deutlich besser werden. Sonst droht uns langfristig ein Anstieg typischer Alterskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Osteoporose oder sogar Demenz.
In Deutschland sind zwar ausgeprägte Vitamin-Mangelzustände nur noch selten, aber die schleichende Unterversorgung über Jahre hinweg, die hierzulande für die Vitamine A,D,E und das B-Vitamin Folsäure ausgeprägt ist, birgt die Gefahr, dass die Gesundheit der Betroffenen im fortgeschrittenen Alter ernsthaft leidet. Vitaminpräparate sind in angemessener Dosierung geeignet, um Versorgungslücken zu schließen. Hierbei müsse ganz klar zwischen den empfohlenen Dosierungen zur Krankheitsvorbeugung und den Hoch-Dosis-Therapien mit ihren möglichen Risiken unterschieden werden. Dieses Fazit zog eine renommierte Expertenrunde, die auf Einladung von Prof. Hans-Konrad Biesalski, Universität Hohenheim, in Stuttgart die Frage diskutierte: “Vitaminversorgung in Deutschland – ein Grund zur Sorge?” Und das Ergebnis lautete eindeutig: Ja! Mit in der Runde debattierten unter anderem auch der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), Prof. Peter Stehle, Bonn, und der Präsident des Max-Rubner-Institutes (Bundesforschungsanstalt für Ernährung), Prof. Gerhard Rechkemmer, Karlsruhe.
Die Versorgungslage mit Vitaminen
Zwar hatte die Nationale Verzehrsstudie, NVS II, den Deutschen bei vielen Vitaminen eine passable Versorgung attestiert, jedoch sei es problematisch, so Rechkemmer, die allgemeinen Resultate der NVS II auf alle Bevökerungsgruppen und deren spezifischen Bedarf an Vitaminen zu übertragen. Sowohl er als auch Stehle und weitere Forscher räumten ein, das Ziel der DGE-Kampagne “5 am Tag” – gemeint sind Obst- und Gemüseportionen – sei noch längst nicht erreicht.
Ziel sei eine ausgewogene Ernährung.
Biesalski betonte, dass insbesondere die Versorgung mit Vitamin A,
das überwiegend in tierischen Lebensmitteln wie Leber vorkommt, bei
vielen Bundesbürgern unzureichend ist. Von großer Bedeutung seien daher
pflanzliche Produkte, die die Vorstufe dieses Vitamins lieferten: das
Pro-Vitamin Beta-Carotin. Hier müsse auf eine ausreichende Zufuhr
geachtet werden, da einige Menschen genetisch bedingt Beta-Carotin nur
eingeschränkt zu Vitamin A verstoffwechseln können.
Ausgleich von Defiziten durch Nahrungsergänzungen
Um Vitamindefizite auszugleichen, so die Ernährungsexperten, seien angemessen dosierte Nahrungsergänzungsmittel wie beispielsweise Multivitaminpräparate ein sinnvoller erster Schritt auf dem Weg zu einer ausgewogenen Ernährung.
Hierbei dürfe jedoch Prophylaxe nicht mit Therapie verwechselt werden: Die in einigen Studien beschriebenen gesundheitsschädlichen Effekte, wie sie beispielsweise für Beta-Carotin bei starken Rauchern gefunden wurden, seien bei extrem hohen Dosen aufgetreten. Heute sei auch klar, dass vielschichtigen Krankheiten wie Krebs oder Diabetes alleine durch eine Vitaminzufuhr nach dem Motto “viel hilft viel” nicht vorgebeugt und ein ungesunder Lebenswandel dadurch nicht kompensiert werden könne. In den empfohlenen Dosierungen seien Vitaminpräparate und angereicherte Lebensmittel wirksam und sicher, könnten jedoch eine ausgewogenene Ernährung nicht komplett ersetzen.
Unter Vitaminmangel leiden insbesondere übergewichtige Menschen,
denen man gemeinhin ein Zuviel-Essen und damit keinen Mangel an
Nährstoffen unterstellt. Doch diese essen vor allem zu einseitig, denn
ihre Vitaminversorgung liegt besonders häufig im Argen. Übergewichtige
bekommen ein Zuviel an Kalorien aber es fehlt an lebenswichtigen
Vitalstoffen.
Zahlreiche Vitamin-Lücken und deren Gefahren für die Gesundheit
Einen weiteren Themenschwerpunkt in der Expertenrunde bildeten die Vitamine D und Folsäure. Für Vitamin D verdichten sich die Erkenntnisse, dass es weitaus mehr kann, als nur gegen Osteoporose zu wirken, so z.B. auch das Immunsystem stärken.
Ca. 90 Prozent der Deutschen erreichen jedoch nicht die täglich empfohlene Menge – mit fatalen Folgen für das Alter, wie der Geriatriker Prof. Ralf-J.Schulz, Köln betonte. Die Empfehlungen für die tägliche Aufnahme sollten seiner Meinung nach erhöht werden, und Vitamin-D-Präparate sollten eine ausreichende Versorgung sicher stellen.
Prof. Berthold Koletzko, Pädiater in München, regte an, Grundnahrungsmittel wie Mehl und Salz mit Folsäure anzureichern, um die Versorgung mit dem Vitamin, von dem ca. 80 Prozent der Menschen hierzulande zu wenig aufnehmen, sicherzustellen. In Deutschland wird eine solche Anreicherung bisher nur im kleineren Umfang von Herstellern freiwillig praktiziert.
Eine ausreichende Versorgung mit Folat verhindert nicht nur die Entwicklung von bestimmten fötalen Fehlbildungen bei Schwangeren, sondern kann auch die Gesundheit von Herz und Gefäßen der Allgemeinheit fördern.
Als ein weiteres Sorgenkind bei der Vitaminzufuhr wurde Vitamin E
genannt: Über 50 Prozent der Bevölkerung bekommen davon zu wenig und
schwächen dadurch ihr Immunsystem.
Zu wenig Vitamine bei viel, aber einseitigem Essen
Eine zunächst in dem Zusammenhang kurios anmutende Risikogruppe für Vitamindefizite benannte Prof. Stephan Bischoff von der Universität Hohenheim: Übergewichtige Menschen, denen man gemeinhin ein Zuviel-Essen und damit keinen Mangel an Nährstoffen unterstellt. Doch diese essen vor allem zu einseitig, denn ihre Vitaminversorgung liegt besonders häufig im Argen.
Alle Experten waren sich einig, dass insbesondere den Medien eine entscheidende Rolle bei der Information der Bevölkerung zukommt. Hierbei solle jedoch sachlich und ausgewogen berichtet und auf Horrormeldungen, die in der Regel auf aussagekräftigen Studien und deren spektakulären Hypothesen beruhen, verzichtet werden.